Die meisten langlebigen Umweltgifte werden in der Atmosphäre transportiert – und zwar in mehreren „Sprüngen“. Dies haben jetzt Forscher vom Max-Planck-Institut für Meteorologie bewiesen. Mithilfe von Modellsimulationen konnten sie zeigen, dass dieser so genannte Grashüpfer-Effekt für eine Anreicherung der Problemstoffe in den Polargebieten sorgt.
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Bestimmte Substanzen, so die Ergebnisse der Modellexperimente, können sich vermutlich sogar ohne den Grashüpfer-Effekt weltweit verbreiten. Dies unterstreicht nach Meinung der Wissenschaftler die Notwendigkeit der Anwendung hochentwickelter Transportmodelle für diese Fragestellungen. Die Ergebnisse sind bedeutsam für das junge Fachgebiet Multikompartiment-Umweltchemie und für die Stoffrisikobewertung.
POPs im Visier der Forscher
Langlebige, mittelflüchtige Substanzen können reemittieren, nachdem sie aus der Atmosphäre in den Ozean oder auf Landoberflächen abgelagert wurden. Ihr Ferntransport ist dann das Ergebnis mehrerer Emissions-Transport-Depositions-Zyklen (so genannter Grashüpfer-Effekt). Die globale Verteilung und damit das Gefährdungspotenzial von Chemikalien kann mit einem Multikompartiment-Modell, das die geographische Verteilung und die Verteilung über die verschiedenen Umweltmedien beschreibt, untersucht werden. So besagt eine wichtige Hypothese der Umweltchemie, dass die beobachtete Anreicherung von vielen persistenten und bioakkumulativen Schadstoffen (‚persistent organic pollutants‘, POPs) in den Polargebieten, fernab der Anwendungsgebiete eine Konsequenz des Grashüpfer-Effekts sei.
Verbreitung von DDT und Lindan untersucht
In ihrer Studie untersuchten die Max-Planck-Forscher nun durch Separation der beiden Transportmodi erstmals im Modellexperiment die Bedeutung des Grashüpfer-Effekts auf das Ferntransport-Potenzial von zwei physikalisch-chemisch recht unterschiedlichen POPs – DDT und Lindan. Dies sind historisch gesehen die bislang weltweit bedeutendsten Insektizide. Während DDT wegen seiner chronischen „Nebenwirkungen“ für Nichtzielorganismen nur noch in tropischen Ländern und fast ausschließlich in Gesundheitsprogrammen eingesetzt wird, ist Lindan ein in sehr vielen Landwirtschaften, auch von Industriestaaten bedeutsames Pestizid. Lindan ist von Landoberflächen flüchtiger, wird aber durch Niederschlag auch rascher aus der Atmosphäre entfernt als DDT.
Entsprechend der geografischen Verteilung der in der Landwirtschaft verbrauchten Mengen der beiden Insektizide ergeben sich unterschiedliche „Ausbringungsverteilungen“. Wie die Forscher entdeckten, ist sowohl der Grashüpfer-Effekt als auch die Verteilung nach Erstemission für den Ferntransport bedeutsam. Der Grashüpfer-Effekt bewirkt dabei eine Anreicherung in den Polargebieten.
Transport aus ohne Grashüpfer-Effekt möglich
Darüber hinaus sagt das Modellexperiment eine Ansammlung von Lindan, nicht aber von DDT, in der Arktis und Antarktis sogar ohne den Grashüpfer-Effekt voraus, allein aufgrund des Transports in der Atmosphäre, die einer Erstemission folgen. Innerhalb der atmosphärischen Grenzschicht und nahe der Ausbringungsregionen überwiegt der Grashüpfer-Transportmodus. Die Wahrscheinlichkeit in der freien Troposphäre und in noch höheren Luftschichten bereits revolatilisierte Lindan-Moleküle anzutreffen ist höher als für DDT-Moleküle, was mit rascherer Auswaschung und Reemission von Lindan an den Oberflächen zusammenhängt. Der Grashüpfer-Effekt verändert die Verteilung über die verschiedenen Umweltmedien und erhöht die Persistenz.
Nach Angaben der Forscher gibt es noch erhebliche Unsicherheiten in der Beschreibung einiger Prozesse, denen diese Stoffe in der Umwelt unterliegen, und sogar bezüglich der Stoffeigenschaften. Auch wurden in der Modellstudie noch Ferntransporte im Ozean ausgespart und ein künstliches, also nicht historisches Emissionsszenarium angenommen.
Dennoch gewähren diese Untersuchungen wesentliche Einblicke in die Zyklen wichtiger Spurenstoffe und damit Fortschritte in der noch jungen Disziplin Umweltchemie auf der globalen Skala.
(Max-Planck-Institut für Meteorologie, 11.04.2005 – DLO)