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Biologie

Insektenrelikt aus Urwaldzeiten entdeckt

Seltene Schwebfliege im Naturschutzgebiet Saalberghau bei Dessau

Brachyopa silviae (Baumsaftschwebfliege) © Umweltforschungszentrum Leipzig-Halle

Wissenschaftler des Umweltforschungszentrum Leipzig-Halle (UFZ) haben in der Nähe von Dessau ein neues Insekt entdeckt. Dabei handelt es sich um eine extrem seltene Schwebfliege, von der weltweit nur sechs Exemplare bekannt sind.

„Die Entdeckung einer noch unbekannten Tierart mitten im Herzen von Deutschland unterstreicht die Bedeutung der Erforschung der Artenvielfalt auch in Deutschland“, so Frank Dziock von der Abteilung Naturschutzforschung des UFZ. Die neue Art Brachyopa silviae (Silvias Baumsaftschwebfliege) gehört zur Gattung der Baumsaftschwebfliegen, von der in Europa lediglich 13 Arten bekannt sind. Ihre Larven ernähren sich ausschließlich von Bakterien und anderen Mikroorganismen im Saft an Bäumen. Diese entstehen durch Verletzungen der Rinde und kommt am häufigsten an sehr alten Bäumen vor. Die Wissenschaftler fordern deshalb, auch in bewirtschafteten Wäldern einzelne Bäume natürlich altern und absterben zu lassen, damit solche Tierarten eine Chance zum Überleben erhalten.

Widerspenstige Forschungsobjekte

„Wenn wir Forscher in den Wald gehen, dann müssten wir eigentlich die Nase einer solchen Fliege haben, um die Schleimflüsse unter den Baumrinden zu finden, die oft nicht zu sehen sind.“ Wer sich wie Dziock mit Baumsaftschwebfliegen beschäftigt, der kann sich nicht einfach in eine saftige Blumenwiese legen und warten, was da angesummt kommt. Denn diese Insekten leben versteckt innerhalb der Wälder an ganz bestimmten alten Bäumen. Sie leben von Mikroorganismen, die nur im Baumsaft vorkommen – im Gegensatz zu ihren bekannteren Verwandten. Auch wenn viele dieser Schwebfliegen wegen ihrem schwarz-gelben Muster irrtümlich für Wespen gehalten werden, so können sie nicht stechen. Ihre Larven sind obendrein sehr nützlich, da sie große Mengen an Blattläusen vertilgen. Insgesamt leben in Deutschland rund 450 Schwebfliegenarten mit unterschiedlichster Ernährungsweise.

Sensation beinahe übersehen

Seit zwölf Jahren beschäftigt sich Dziock schon mit der Tierwelt der Auenwälder. Jetzt ist dem 35jährigen Biologen erstmals das gelungen, wovon wohl jeder Insektenforscher träumt: Die Entdeckung einer neuen Art. Dabei schien der Fang, der im Naturschutzgebiet Saalberghau an der Elbe bei Dessau ins Netz ging, zunächst wenig spektakulär. Im Rahmen eines Forschungsprojektes hatte der Wissenschaftler eine Insektenfalle aufgestellt, um festzustellen, wie Schwebfliegen auf Überschwemmungen reagieren. In diesem Fall dienen die Insekten als Bioindikatoren. Der Inhalt der Falle sah auf den ersten Blick normal aus.

„Zunächst dachten wir, an eine schon bekannte Art. Dann entdeckten wir dass die zwei winzigen Punkte auf dem Rücken der Fliegen ein klarer Beweis für eine noch unentdeckte Art waren“, erzählt Dziock. Beim genaueren Betrachten der nur sieben Millimeter großen Fliege unter dem Mikroskop stellte sich heraus: Ihr Körperbau gleicht keiner der bekannten Arten.

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„Deshalb habe ich mir extra die Typen-Exemplare – die so genannten Holotypen und Syntypen – von vier ähnlichen Arten aus den Naturkundemuseen in Kopenhagen, Stockholm und Oxford sowie dem Deutschen Entomologischen Institut ausgeliehen, um die Unterschiede genau untersuchen zu können.“ Zusammen mit dem Schwebfliegenexperten Dieter Doczkal aus Malsch beschrieb Dziock die neue Art.

Relikt in urwaldartigen Eichen- und Buchenbeständen

Zwei Männchen hat Dziock im Biosphärenreservat Flusslandschaft Elbe bei Dessau gefunden(Sachsen-Anhalt), ein Weibchen im Nationalpark Hainich (Thüringen). Anderen Insektenkundlern gelang der Nachweis dieser Schwebfliege inzwischen auch in Hessen und Rheinland-Pfalz. „Es ist kein Zufall, dass wir diese Art gerade an geschützten Standorten gefunden haben“, meint Dziock zu den Fundorten, urwaldartige Eichen- und Buchenbestände.

„Neuere“ Forste, die noch nicht so lange bewaldet sind, beherbergen solche Relikt-Arten nicht. Da diese Arten nicht so anpassungsfähig und weniger mobil als andere Arten sind, kommen sie heute nur noch sehr inselartig in den Resten von urwaldartigen, alten Wäldern. Denn typische Altholzstrukturen wie Baumhöhlen, Schleimflüsse oder moderndes Kernholz bilden sich erst nach mindestens 120 Jahren heraus. Die meisten Bäume in bewirtschafteten Wäldern werden jedoch bereits vor dem Erreichen dieses Alters gefällt.

Moderne Forstwirtschaft als Problem für die Artenvielfalt

„Wo konventionelle Forstwirtschaft betrieben wird, hat diese Art keine Chance zum Überleben. Alles, was krank aussieht, wird entfernt. Aber gerade solche alten Bäume sind es, an denen sich die Schleimflüsse bilden, die diese Arten brauchen.“ Aus Sicht der Biologen ist es deshalb notwendig, auch alte Bäume in den Wäldern zu lassen und diese dort auf natürliche Art absterben zu lassen.

Die Leitlinie Wald des Landes Sachsen-Anhalt sieht Dziock kritisch, da sie zu viel Ermessensspielraum bei der wirtschaftlichen Verwertung lasse und obendrein die Waldbesitzer nicht einmal an diese Leitlinie gebunden seien. „Es reicht nicht aus, etwas totes Holz im Wald liegen zu lassen“ erklärt er. „Nach kurzer Zeit ist dieses Holz so ausgetrocknet, dass es den Larven der Schwebfliegen keinen Lebensraum mehr bietet. Totholz ist kein Ersatz für natürlich entstandenes Altholz.“

Waldbestände mit einem Alter von mehr als 180 Jahren machen in Deutschland lediglich rund zwei Prozent aus. Das hat gravierende Folgen für die Artenvielfalt. Auswertungen der Liste bedrohter Arten zeigen, dass vor allem solche Tier- oder Pflanzenarten überproportional stark gefährdet sind, die sich auf typische Strukturen naturnaher Wälder spezialisiert haben.

(idw – Umweltforschungszentrum Leipzig-Halle, 31.03.2005 – DLO)

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