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Neurobiologie

Gehirn: Abbau beginnt im mittleren Alter

Bluthochdruck beschleunigt Schrumpfung wichtiger Regionen

Ab 30 geht es bergab – diesem geflügelten Wort hat jetzt eine Langzeitstudie neue Nahrung gegeben: Sie zeigte, dass bereits ab dem mittleren Erwachsenenalter elf von zwölf Bereiche des Gehirns schrumpfen. Besonders stark betroffen ist dabei das Volumen gedächtnisrelevanter Hirnregionen. Bluthochdruck beschleunigt diesen Prozess.

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Jeder Mensch empfindet das Älterwerden anders, aber Einbußen müssen alle hinnehmen. Alterungsprozesse des Gehirns lassen sich bereits ab dem mittleren Erwachsenenalter beobachten. Dies zeigt eine Langzeitstudie an gesunden Erwachsenen zwischen 20 und 77 Jahren, die sich im Abstand von fünf Jahren freiwillig in einen Kernspintomografen legten, um die Volumina von bestimmten Regionen ihres Gehirns vermessen zu lassen. Naftali Raz von der Wayne State University in Detroit und Ulman Lindenberger vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin haben die Ergebnisse nun veröffentlicht.

Individuelle Unteschiede untersucht

Bisher beziehen Altersforscher ihre Ergebnisse vor allem aus Querschnittsstudien, in denen sie Hirnaufnahmen oder Testleistungen von Menschen unterschiedlichen Alters miteinander vergleichen. Aus diesen Durchschnittswerten lassen sich jedoch nur indirekt Aussagen über den individuellen Alterungsprozess ableiten.

Raz und Lindenberger wollten dagegen wissen, wie groß die individuellen Unterschiede beim Abbau des Gehirns sind und wie stark sich die verschiedenen Regionen des Gehirns im Lauf von fünf Jahren verändern. Für die Langzeitstudie untersuchten sie geistig und körperlich gesunde Erwachsene mit einem Ausgangsalter zwischen 20 und 77 Jahren an zwei Messzeitpunkten im Abstand von fünf Jahren.

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Bei elf der insgesamt zwölf untersuchten Regionen nahm das Hirnvolumen deutlich ab, nur der Bereich im visuellen Kortex, der Sehrinde, hatte sich nicht systematisch verändert. Bei Frauen alterte das Gehirn nicht grundsätzlich anders als bei Männern. Auch Personen mit überdurchschnittlich großen Gehirnvolumina waren vor dem Abbau keineswegs gefeit. Insgesamt zeigten sich bei dieser Studie deutlich drastischere Einbußen in vielen Hirnregionen als in den Querschnittstudien. Raz und Lindenberger führen dies darauf zurück, daß Längsschnittstudien die Veränderungen innerhalb von Personen reiner erfassen können als Querschnittsstudien.

Bluthochdruck als entscheidender Faktor

Die Volumenveränderungen waren bei den einzelnen Teilnehmern unterschiedlich stark ausgeprägt. Offensichtlich ist die Hirnalterung ein sehr individueller Prozess. Zumindest einige dieser Unterschiede scheinen mit Bluthochdruck zusammenzuhängen. 14 der 72 Versuchspersonen hatten bereits zu Untersuchungsbeginn Bluthochdruck und im Lauf der fünf Jahre entwickelten noch weitere fünf Teilnehmer Bluthochdruck. Obwohl der Bluthochdruck bei allen Betroffenen medizinisch gut kontrolliert wurde, stellten Raz und Lindenberger fest, dass gedächtnisrelevante Regionen wie der Hippocampus, aber auch die weiße Substanz im präfrontalen Kortex, bei den Bluthochdruckpatienten besonders stark geschrumpft waren. Und zwar umso stärker, je länger diese Patienten bereits unter Bluthochdruck litten.

„Bluthochdruck ist offenbar noch gefährlicher als bislang vermutet, vielleicht erhöht er sogar das Risiko, an Alzheimer zu erkranken“, meint Lindenberger. Beide Hirnregionen nahmen zwar auch bei den Teilnehmern ohne Bluthochdruck mit dem Alter immer stärker ab, der Bluthochdruck beschleunigte diesen Prozess jedoch merklich.

In methodischer Hinsicht wandten Raz und Lindenberger erstmalig ein

1994 von Jack McArdle und John Nesselroade an der University of Virginia entwickeltes statistisches Verfahren zur möglichst genauen, meßfehlerfreien Abschätzung auf hirnphysiologische Daten an. „Dabei haben wir uns zunutze gemacht, daß im Hirn jede Region zweimal vorkommt,“ erklärt Lindenberger. Zusammen mit Paolo Ghisletta von der Universität Genf sind Raz und Lindenberger nun dabei, den Zusammenhang zwischen den Hirnveränderungen und den gleichzeitig beobachteten Veränderungen in psychologischen Leistungstests näher zu untersuchen.

(Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, 16.02.2005 – NPO)

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