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Archäologie

Mittelmeer: Weltkulturerbe bedroht

Stürme, steigender Meeresspiegel und Küstenerosion gefährden UNESCO-Welterbestätten

Die Ruinen von Tyros im Libanon, einer alten Hafenstadt der Phönizier, Griechen und Römer, sind schon heute von Überschwemmung und Küstenerosion bedroht. © Heretiq/ CC-by-sa 2.5

Land Unter: Rund 40 Stätten des UNESCO-Weltkulturerbes am Mittelmeer sind akut von Sturmfluten und Erosion bedroht, wie eine Studie enthüllt. Denn viele der antiken Stätten liegen nah am Wasser und nur knapp über dem Meeresspiegel. Schreitet der Klimawandel weiter voran, könnten sogar mehr als 90 Prozent der küstennahen Welterbestätten am Mittelmeer regelmäßig oder gar dauerhaft im Meer versinken, warnen die Forscher im Fachmagazin „Nature Communications“.

Ob Venedig, das antike Ephesus oder die Ruinen von Karthago: Rund um das Mittelmeer liegen so viele Zeugnisse vergangener Kulturen wie kaum irgendwo sonst. Schon in der Bronzezeit erblühten hier die Reiche der Minoer, Ägypter, Phönizier und Hethiter. Später, in der Antike, errichteten die Griechen und Römer entlang der Küsten ihre Städte, Tempel und Häfen. Insofern ist es kein Wunder, dass auch besonders viele Stätten des UNESCO-Weltkulturerbes an den Mittelmeerküsten liegen.

49 Welterbestätten in der Gefahrenzone

Doch dieses einzigartige Erbe vergangener Kulturen ist in Gefahr. „Wegen der geringen Gezeiten und der steilen Topografie liegen viele der alten und aktuellen Siedlungen direkt an der Wasserlinie und kaum oberhalb des Meeresspiegels“, erklären Lena Reimann von der Universität Kiel und ihre Kollegen. Damit sind sie Sturmfluten, aber auch der Küstenerosion nahezu schutzlos ausgesetzt. Und diese Gefahr wächst: Durch den Klimawandel steigt der Meeresspiegel auch im Mittelmeer.

Was aber bedeutet dies für die UNESCO-Welterbestätten – schon jetzt und in der Zukunft? Um das herauszufinden, haben Reimann und ihr Team die Bedrohung für 49 Welterbestätten untersucht, die weniger als zehn Meter über dem Meeresspiegel und in unmittelbarer Küstennähe liegen. Zu ihnen gehören unter anderem die antiken Ruinen von Karthago, Leptis Magna, Ephesus oder Aquileia, aber auch Teile der Altstädte von Dubrovnik, Akko, Korfu und die Lagunenstadt Venedig.

Überflutungsrisiko heute (oben) und im Jahr 2100 für verschiedene UNESCO-Welterbestätten am Mittelmeer. © Reimann et al./ NAture Communications, CC-by-sa 4.0

Um das Überschwemmungsrisiko abzuschätzen, modellierten die Forscher die Auswirkungen einer Jahrhundertflut bei heutigem Meeresspiegel und bei den für das Jahr 2100 bei gemäßigtem oder starkem Klimawandel prognostizierten Meereshöhen. Für das Erosionsrisiko berücksichtigten sie zusätzlich die Wellenhöhe, das Untergrundmaterial und den Sedimentnachschub.

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75 Prozent schon heute von Überflutung bedroht

Das Ergebnis: Schon heute sind 37 der 49 untersuchten Welterbestätten am Mittelmeer im Falle einer Jahrhundertflut von einer Überschwemmung bedroht. „Das entspricht 75 Prozent der in der flachen Küstenebene liegenden Stätten“, so Reimann und ihre Kollegen. Am größten sind das Risiko und die potenziell überfluteten Flächen dabei in Venedig, der Altstadt von Ferrara an der Po-Mündung und den Ruinen von Aquilea.

Bei anhaltendem Klimawandel könnten bis 2100 insgesamt 40 Welterbestätten von wiederholten Überflutungen bedroht sein, wie die Forscher berichten. Besonders gefährdet sind dabei die Welterbestätten an der nördlichen Adria. Denn dort ist der Meeresspiegel ohnehin schon hoch und wird in Zukunft weiter ansteigen. Gleichzeitig werden bei Sturm große Wassermassen in diesen Meeresarm hineingedrückt, wodurch der Pegel noch weiter ansteigt.

Meer frisst historische Küste

Auch die Küstenerosion gefährdet viele Welterbestätten am Mittelmeer schon heute: 42 der 49 untersuchten Stätten sind von einem Abbruch oder Abtragen der Küste bedroht, wie die Auswertung ergab. Besonders gefährdet ist Tyros im heutigen Libanon, einst eine wichtige Hafenstadt der Phönizier, Griechen und Römer. „Tyros liegt direkt an der Wasserlinie und auf sandigem Grund, was ein sehr hohes Erosionsrisiko mit sich bringt“, berichten die Forscher. Zudem liegt die mittlere Wellenhöhe dort bei rund 70 Zentimetern und der Nachschub an abgelagertem Sediment ist extrem gering.

Steigt der Meeresspiegel durch den Klimawandel weiter an, könnten bis zum Jahr 100 fast alle küstennahen UNESCO-Welterbestätten am Mittelmeer von ansteigendem Wasser und erodierender Küste bedroht sein. Nur zwei Stätten – die Medina von Tunis und die Ruinen von Xanthos, der alten Hauptstadt von Lykien in der Türkei – wären selbst bei starkem Klimawandel noch sicher.

Die Lagunenstadt Venedig gehört zu den am stäksten von Überflutung und Küstenerosion bedrohten Welterbestätten am Mittelmeer. © Lena Reimann

Anpassungen dringend notwendig

„Unsere Ergebnisse unterstreichen damit die Notwendigkeit für Anpassungen in den gefährdeten Stätten“, betonen die Forscher. „Wenn keine Schritte unternommen werden, könnten die Welterbestätten ihren einzigartigen globalen Wert verlieren. Unsere Resultate liefern nun eine konkrete Einschätzung, wo eine Anpassung am dringendsten nötig ist.“

Weil ein Versetzen der Ruinen, Bauwerke und Anlagen in den allermeisten Fällen nicht in Frage kommt, muss der Küstenschutz entsprechend verstärkt werden. Im Fall von Venedig geschieht dies bereits: Eine bewegliche Schutzbarriere soll künftig im Falle einer Sturmflut die gesamte Lagune vom Mittelmeer abriegeln und so eine Überschwemmung der Stadt verhindern. In vielen anderen Welterbestätten jedoch ist bisher kaum etwas geschehen. (Nature Communications, 2018; doi: 10.1038/s41467-018-06645-9)

(Nature, 17.10.2018 – NPO)

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