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Ätna: Vulkanhang rutscht ins Meer

Schwerkraft lässt Südostflanke des Vulkans absinken – Kollaps nicht ausgeschlossen

Südostseite des Vulkans Ätna: Diese Bergflanke rutscht langsam in Richtung Meer. Im Vordergrund ist das forschungsschiff POseidon zu sehen. © Felix Gross

Droht ein Kollaps? Der Südosthang des Ätna rutscht – die gesamte Vulkanflanke bewegt sich mehrere Zentimeter pro Jahr in Richtung Meer, wie neue Messungen enthüllen. Verantwortlich dafür ist nicht aufsteigendes Magma im Vulkanschlot, sondern der Einfluss der Schwerkraft. Das aber bedeutet, dass der Ätna instabiler sein könnte als angenommen. Denn ein plötzliches Abrutschen des gesamten Hangs und damit auch ein katastrophaler Tsunami sei nicht ausgeschlossen, berichten die Forscher im Fachmagazin „Science Advances“.

Einige der schlimmsten Tsunamis der Geschichte wurden nicht von Erdbeben ausgelöst, sondern von Vulkanen. Zu ihnen gehören die Bronzezeit-Flut im Mittelmeer nach dem Ausbruch des Santorini-Vulkans, aber auch die 40-Meter-Flutwellen nach der Eruption des Vulkans Krakatau im Jahr 1883. Sie entstanden, als die Hänge des Feuerberges kollabierten und Tonnen von Material ins Meer rutschten. Auch auf den Kapverden zeugen Ablagerungen davon, dass einst ein ganzer Hang des Inselvulkans Fogo abrutschte und einen Megatsunami auslöste.

„Solche katastrophalen Kollapse von Vulkanen auf Meeresinseln oder an Küsten sind eine große Gefahr, denn sie können Tsunamis mit extremen Folgen verursachen“, erklären Morelia Urlaub vom GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel und ihre Kollegen.

Magma oder Schwerkraft?

Doch wie groß die Bedrohung ist, hängt davon ab, was die Vulkanhänge in Bewegung bringt: „Magmabewegungen im Schlot können Hänge zwar nahe der Magmakanäle destabilisieren“, erklärt Urlaub. „Aber die Deformation durch die Schwerkraft kann einen katastrophalen Kollaps auslösen.“ Solche gravitationsbedingten Hangrutschungen haben unter anderem beim Kilauea auf Hawaii und auf Ritter Island in Papua-Neuguinea folgenreiche Tsunamis verursacht.

3D-Modell der Ätna-Ostflanke mit der Position des GeoSEA-Messnetzes © Morelia Urlaub/Felix Gross

Auch der Ätna auf Sizilien ist in Bewegung: Seit den 1980er Jahren sinkt die Südostflanke um drei bis fünf Zentimeter pro Jahr in Richtung Meer – das belegen Messungen an den oberirdischen Hangteilen. Bisher aber blieb unklar, ob sich auch der im Meer verborgene Teil der Vulkanflanke bewegt – und welcher Mechanismus dahintersteckt. „Der Konsens war bislang, dass vor allem das Magmasystem die Bewegungen antreibt, nicht die Schwerkraft oder tektonische Kräfte“, sagen die Forscher.

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Ätna rutscht auch unterseeisch

Was wirklich am unterseeischen Hang des Ätna geschieht, haben nun Urlaub und ihr Team erstmals ermittelt. Weil GPS und andere satellitengestützte Verfahren unter Wasser nicht präzise genug funktionieren., nutzen die Forscher fünf schallbasierte Transponder, die – am Hang platziert – die Abstände zwischen sich alle 90 Minuten einmal messen. Durch dieses Messnetz ließen sich die Bewegungen des Vulkanhangs zentimetergenau verfolgen.

Das Ergebnis: Auch der unterseeische Teil der Ätna-Flanke ist in Bewegung. Der Hang rutscht jedoch nicht kontinuierlich ab, sondern bewegt sich eher stückweise und ruckartig. Wie die Messdaten enthüllten, sackte er im Mai 2017 innerhalb von nur acht Tagen um vier Zentimeter Richtung Meer und einen Zentimeter in die Tiefe. „Damit liegt die Bewegung der unterseeischen Ätna-Flanke in der gleichen Größenordnung wie die Summe der Onshore-Senkungen im gleichen Zeitintervall“, berichten die Forscher.

Die anhaltende Aktivität des Ätna könnte die Gefahr eines Hangkollapses noch verstärken. Hier eine Eruption im Januar 2002. © Cirimbillo/ CC-by-sa 3.0

Kollaps nicht ausgeschlossen

Das Entscheidende jedoch: Dieses Abrutschen kann entgegen bisherigen Annahmen nicht allein durch Magmabewegungen verursacht werden. „Unsere geodätischen Messungen zeigen, dass die Flankenbewegung in Richtung Küste stärker wird“, erklären Urlaub und ihre Kollegen. Wäre jedoch Magma der Antrieb, müsste die Absenkung in Schlotnähe am größten sein. Zudem wurde im Mai 2017 keinerlei Magma-Aktivität gemessen.

„Insgesamt deuten unsere Ergebnisse darauf hin, dass der Hang aufgrund der Schwerkraft abrutscht und nicht durch den Aufstieg von Magma“, sagt Urlaub. Das aber bedeutet auch, dass das Risiko für einen Hangkollaps am Ätna größer sein könnte als bisher angenommen. „Der gesamte Hang befindet sich durch die Schwerkraft in Bewegung. Daher ist es durchaus möglich, dass er plötzlich abrutscht, was einen Tsunami im gesamten Mittelmeer auslösen könnte“, sagt Seniorautorin Heidrun Kopp vom GEOMAR.

Gefahr unterschätzt

Ob und wann eine solche Katastrophe droht, können jedoch auch die Wissenschaftler nicht vorhersagen. „Um die geologischen Vorgänge rund um den Ätna und anderen an Küsten gelegenen Vulkanen zu verstehen, ist weitere Grundlagenforschung nötig“, betont Urlaub. Doch die neuen Erkenntnisse seien ein Indiz dafür, dass möglicherweise auch bei anderen Insel- und Küstenvulkanen die Gefahr eines Hangkollapses bisher unterschätzt worden ist. (Science Advances, 2018; doi: 10.1126/sciadv.aat9700)

(GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel, 11.10.2018 – NPO)

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