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Geowissen

Magnetfeld: Umpolung kann schnell gehen

Polwechsel vor 95.000 Jahren vollzog sich innerhalb nur eines Jahrhunderts

Ein Polwechsel im Erdmagnetfeld kann offenbar schneller eintreten als bisher angenommen © Petrovich9/ iStock.com

Rapider Polwechsel: Das Erdmagnetfeld kann sich offenbar schneller umpolen als bisher gedacht. Vor rund 95.000 Jahren vollzog sich ein solcher Polwechsel innerhalb von nur rund 100 Jahren, wie nun Analysen eines Stalagmiten aus China belegen. Das wecke grundgrundlegende Fragen über das Tempo solcher geomagnetischen Verschiebungen, sagen die Forscher. Sollte sich in naher Zukunft wieder eine solche Polumkehr ereignen, hätte dies dramatische Folgen für die menschliche Gesellschaft.

Droht der Erde ein neuer Polwechsel? Diese Frage wird momentan heiß diskutiert. Denn Messungen zeigen, dass die Feldstärke des Erdmagnetfelds seit 1840 um rund 16 Prozent abgenommen hat. Auch die Achse des Dipolfelds hat sich bereits verschoben und es haben sich regionale Schwächezonen im Magnetfeld gebildet. Weil auch vergangene Umpolungen von einer Abschwächung des Magnetfelds eingeleitet wurden, könnten dies erste Vorboten sein.

Allerdings: Seit der letzten Umpolung vor rund 780.000 Jahren hat es immer wieder ganz ähnliche Schwächephasen gegeben. Doch diese sogenannten Exkursionen führten nicht zu einem dauerhaften Polwechsel – auch wenn sich in ihrem Verlauf manchmal vorübergehend die Polung änderte. Zudem bliebe nach gängiger Lehrmeinung genügend Vorwarnzeit, weil eine echte Polumkehr Jahrtausende benötigt, um sich zu etablieren.

Ein Stalagmit aus dieser Höhle im Südwesten Chinas lieferte die Daten. © PNAS

Stalagmit als Zeitzeuge

Doch das ist möglicherweise ein Irrtum, wie jetzt Yu-Min Chou von der National-Universität Taiwan und seine Kollegen herausgefunden haben. Für ihre Studie hatten sie die Magnetisierung eines Stalagmiten aus einer Höhle im Südwesten Chinas analysiert. Weil diese Kalkgebilde in Schichten wachsen, bilden sie eine Art Jahresringe, die eine genaue Datierung ihrer Minerale ermöglichen.

Die Forscher entnahmen winzige Proben aus den Wachstumsringen des acht Zentimeter dicken Stalagmiten und bestimmten für jede die in den Mineralen konservierte Richtung der Magnetisierung. Mithilfe dieser Daten konnten sie so rekonstruieren, wie sich das Erdmagnetfeld im Zeitraum vor 91.000 bis 107.000 Jahren entwickelt hat.

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Abrupte Umkehr in nur gut 100 Jahren

Das Ergebnis: in diesem Zeitraum erlebte das Erdmagnetfeld zwei Schwächephasen, eine vor 105.000 bis 13.000 Jahren und eine zweite vor 92.000 bis 98.000 Jahren. Wie erwartet waren diese Abschwächung mit deutlichen Verschiebungen der Pole und Fluktuationen der Feldlinienneigung verknüpft. Einige erstreckte sich über Jahrtausende, andere nur über Jahrhunderte, wie die Forscher berichten.

Inklination der Feldinien und Wechsel der Pole vor rund 95.000 Jahren. © Chou et al./ PNAS

„Die überraschendste Beobachtung aber ist eine abrupte Polaritäts-Umkehr während der zweiten Exkursion, die sich wahrscheinlich innerhalb von nur einem Jahrhundert ereignete“, berichten Chou und seine Kollegen. Die Inklination der Magnetfeldlinien kippte in nur 144 Jahren einmal komplett – was auf eine vorübergehende Umpolung hindeutet. „Eine so extrem schnelle Polaritäts-Drift wurde noch nie zuvor dokumentiert“, konstatieren die Forscher.

Zwar gab es vor einigen Jahren eine Analyse von Lavaschichten, die ähnliches andeutete, doch deren Ergebnisse wurden später widerlegt.

Könnte ein ähnlicher Polwechsel bevorstehen?

Nach Ansicht der Forscher belegt dieses Ereignis, das ein Polwechsel deutlich schneller ablaufen kann als bisher angenommen. „Unsere Stalagmiten-Daten sprechen dafür, dass kurzlebige, aber schnelle Feldwechsel in Jahrhundert-Zeitmaßstäben auftreten können“, erklären sie. „Das ist immer dann möglich, wenn sich die Intensität des geomagnetischen Felds im Vorlauf einer Polumkehr oder einer Exkursion deutlich abschwächt.“

Noch ist unklar, wie stark der Geodynamo der Erde destabilisiert sein muss, um einen so abrupten Polwechsel zu erlauben und welche Faktoren noch eine Rolle spielen. Immerhin gab es vor knapp 3.000 Jahren schon einmal eine Phase, in der die Feldstärke des Magnetfelds noch stärker abnahm als heute. In wenigen Jahrzehnten sackte sie um fast 20 Prozent ab – ohne dass eine Umpolung eintrat.

Dennoch warnen die Forscher: „Sollten sich solche schnellen Polaritätswechsel in Zukunft ereignen, könnten sie die menschliche Gesellschaft schwer beeinträchtigen.“ Denn nur ein starkes, stabiles Magnetfeld schirmt Elektronik, Satelliten und andere Technologien gegen Störeinflüsse durch den Sonnenwind und die kosmische Strahlung ab. Fällt dieser Schutzschild aus, wie beispielsweise während einer Polumkehr, dann hätte dies daher drastische Folgen. (Proceedings of the National Academy of Sciences, 2018; doi: 10.1073/pnas.1720404115)

(PNAS, 23.08.2018 – NPO)

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