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Archäologie

Massen-Hinrichtung in der Jungsteinzeit

Massengrab in Halberstadt zeugt von gezielter Tötung von neun Gefangenen

Das Massengrab von Halberstadt mit farblicher Markierung der einzelnen Individuen. © LDA Sachsen-Anhalt / Christian Meyer

Gezielte Tötung: Vor rund 7.000 Jahren fand in Halberstadt am Harz eine brutale Massen-Hinrichtung statt. Jungsteinzeitliche Dorfbewohner töteten dabei neun Menschen gezielt durch Schläge auf den Hinterkopf und warfen sie dann achtlos in ein Massengrab. Von dieser Gewalttat zeugen die Überreste der Toten, die Archäologen nun aus dem Massengrab geborgen und untersucht haben. Die Funde zeigen eine ganz neue Facette der Gewalt unter den ersten Bauern Mitteleuropas, so die Forscher im Fachmagazin „Nature Communications“.

Die Jungsteinzeit vor rund 7.000 Jahren war eine Zeit des Umbruchs: Mit den ersten Bauernkulturen wie den Linearbandkeramikern kamen nicht nur Ackerbau und Viehzucht nach Mitteleuropa, sondern auch die Anlage fester Siedlungen und ausgewiesener Bestattungsplätze.

Doch in dieser Umbruchsphase ging es nicht immer friedlich zu: Archäologen haben mehrere Massengräber aus dieser Zeit entdeckt, unter anderem im hessischen Schöneck-Kilianstädten, die von Krieg, Gewalt und sogar Verstümmelung unter unseren Vorfahren zeugen. Der hohe Anteil von Frauen und Kindern in diesen Massengräbern spricht dafür, dass dabei manchmal ganze Dorfgemeinschaften brutal getötet wurden – wahrscheinlich bei Überraschungsangriffen auf die Siedlung.

Massengrab in Halberstadt

„Zu diesem Tableau der kollektiven Gewalt unter Linearbandkeramikern kommt nun eine weitere Fundstätte: das Massengrab von Halberstadt“, berichten Christian Meyer vom Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt und Team. Bei Bauarbeiten in einem südlichen Vorort des Harzstädtchens hatten Bauarbeiter menschliche Überreste entdeckt. Radiokarbon-Datierungen enthüllten, dass die Skelette aus der Zeit um 5000 vor Christus stammten.

„Die Körper der Toten scheinen achtlos in das Grab geworfen worden zu sein, ohne Rücksicht auf ihre Positionen“, berichten die Archäologen. „Einige lagen auf dem Bauch, andere auf dem Rücken, einige ausgestreckt, andere gekrümmt. Das ähnelt dem Bild in anderen Linearbandkeramik-Massengräbern.“ Nach Ansicht der Forscher zeugt damit auch das Grab von Halberstadt von einer jungsteinzeitlichen Gewalttat.

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Lage der Schädelverletzungen bei den neun Toten © Christian Meyer

Tödliche Schläge auf den Hinterkopf

Ungewöhnlich jedoch: Unter den Toten sind keine Kinder und wahrscheinlich nur eine Frau. Acht der neun Skelette stammen von Männern in jungem und mittleren Erwachsenenalter, wie Knochenanalysen ergaben. „Das ist äußerst ungewöhnlich und unterscheidet sich stark von den bisher bekannten Massengräbern“, sagen Meyer und seine Kollegen. „Das spricht dafür, dass auch der Kontext hier ein ganz anderer war.

Ebenfalls auffallend: Alle Toten hatten schwere Schädelverletzungen, die sich fast ausschließlich in einer Region des Hinterkopfes konzentrierten. Offenbar hatten diese Menschen harte Schläge von hinten auf den Kopf bekommen. „Die enge Verteilung der Wunden spricht für eine gezielte Anwendung tödlicher Gewalt“, so die Forscher. Auch das unterscheide diese Toten von denen der bisher bekannten Massengräbern der Linearbandkeramiker.

Hinrichtung gefangener Feinde?

Nach Ansicht der Archäologen spricht vieles dafür, dass die Toten von Halberstadt Opfer einer Massenhinrichtung wurden. „Ein solches kontrolliertes Töten – beispielsweise von gefangenen Feinden – gab es in vielen Kulturen. Auch eine vorhergehende Folter und Demütigungen gehörten oft dazu“, erklären Meyer und seine Kollegen. Möglicherweise gehörten die jungen Männer zu einem Angreifertrupp, der die Siedlung überfallen wollte, aber scheiterte. Stattdessen wurden die Männer gefangen genommen und dann von der Dorfbevölkerung hingerichtet.

Für dieses Szenario spricht die Herkunft der Toten: Eine Strontium-Isotopenanalyse ihres Zahnschmelzes enthüllte, dass die Männer höchstwahrscheinlich nicht lokaler Herkunft waren, sondern aus einer anderen Region stammten. Auch ihre Ernährung unterschied sich von der der örtlichen Bevölkerung, wie die Forscher mittels Analysen der Kohlenstoff-Isotopenverteilung in den Knochen herausfanden.

Systematische Tötung

„Das Massengrab von Halberstadt unterscheidet sich damit deutlich von den bisher bekannten Massakern dieser Zeit“, konstatieren Meyer und seine Kollegen. „Hier deutet alles auf eine kontrollierte und systematische Tötung einer Gruppe nichtlokaler Menschen hin.“ Eine solche Hinrichtung erweitere das bisher bekannte Spektrum der Gewalt und Konflikte während der Zeit der ersten Bauern in Mitteleuropa.

Solche Akte der Vergeltung waren damals vermutlich eher selten, mutmaßen die Archäologen. Sie könnte aber einerseits der Abschreckung, andererseits auch der Stärkung der Gemeinschaft innerhalb der Dörfer gedient haben. (Nature Communications, 2018; doi: 10.1038/s41467-018-04773-w)

(Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt – Landesmuseum für Vorgeschichte, 27.06.2018 – NPO)

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