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Biotechnologie

Mit Molekülsonden auf Wirkstoffsuche

Neues "Zentrum für Chemische Genomik" an der Schnittstelle von Biologie, Chemie und Medizin

In einem zellbiologischen Assay wird die Zell-Morphologie durch Immunomarkierung der intrazellulären F-Actin-Fasern (rot) und durch Färbung der Zellkerne (blau) sichtbar. A) Normale MDCK-Zellen (Madin-Darby canine kidney epithelial cells) haben ein rundes, regelmäßiges Aussehen und wachsen aneinander geschichtet. B) Eine durch gezielte Mutation in einem Krebs-Gen hergestellte Zelllinie (MDCK-f3) zeigt ein spindelartiges, längliches Aussehen ohne Zellkontakte. C) Durch Zugabe einer speziellen Substanz 1 verändert sich das Aussehen der MDCK-f3-Zellen: Die Wirkung der Mutation wird kompensiert. Durch diese Umkehrung des biologischen Effekts, der durch eine Mutation in einem Krebs-Gen hervorgerufen wird, kann auf den molekularen Angriffspunkt der chemischen Substanz in den Krebs-Zellen geschlossen werden. Die Möglichkeit der Umkehr zeigt an, dass das entsprechende Genprodukt ein potentieller Ansatzpunkt für eine Therapie ist und dass die Substanz 1 als Ausgangspunkt für die Entwicklung eines entsprechenden Wirkstoffs dienen kann. D) Gibt man die Substanz 2 zu MDCK-f3-Zellen, so treten diese in einen apoptotischen Zustand (Zelltod), was an der geschwollenen runden Zellform und den geschrumpften Zellkernen erkennbar ist. © Max-Planck-Institut für molekulare Physiologie

Während die Genetik versucht, Lebensvorgänge über die Beeinflussung der Gene selbst zu entschlüsseln, verfolgt die Chemische Genetik dieses Ziel mit Hilfe chemischer Substanzen, die die Funktion der Genprodukte wie Proteine modulieren. In dem neuen „Zentrum für Chemische Genomik“ in Dortmund, an dem insgesamt sechs Max-Planck-Institute beteiligt sind und wofür die Max-Planck-Gesellschaft insgesamt fünf Millionen Euro zur Verfügung stellt, sollen deshalb Chemiker, Biochemiker und Biologen gemeinsam niedermolekulare Verbindungen („small molecules“) entwickeln, die es als Liganden für Proteine ermöglichen, grundlegende Lebensprozesse zu untersuchen und die Funktion der daran beteiligten Proteine aufzuklären.

Die Substanzen werden auf Grundlage von Naturstoffen oder durch Kombinatorische Chemie erzeugt und ihre biologische Relevanz anschließend in Screening-Verfahren bei Pflanzen, Säugetieren und Mikroorganismen getestet. Auf diese Weise will man Moleküle identifizieren, die in der Lage sind, krankheitsrelevante Proteine in ihrer Funktion zu beeinflussen oder die sich bei Mikroorganismen und Pflanzen als Kandidaten für neue Pflanzenschutz- und Schädlingsbekämpfungsmittel eignen.

Im vergangenen Jahrzehnt wurde zunehmend deutlich, dass alle biologischen Vorgänge im Grunde auf chemischen Prozessen beruhen und durch die Struktur der beteiligten Moleküle und ihre Wechselwirkungen bestimmt werden. Biologische Vorgänge können also auf chemische reduziert und im molekularen Detail untersucht und verstanden werden. Doch heute kennt man erst bei etwa 500 von über 100.000 Proteinen, die vom menschlichen Genom kodiert werden, eine chemische Verbindung, die mit diesem Protein interagiert und dessen Funktion beeinflusst. Deshalb konzentriert sich die Forschung – nach der Sequenzierung des Genoms von Mensch, Maus, Ratte und vielen anderen Modellorganismen – mehr und mehr darauf, die Funktion der Proteine und ihre Wechselwirkung mit niedermolekularen Substanzen (Modulatoren) aufzuklären. Ein neuer Ansatz dafür ist die Chemische Genomik.

Was ist Chemische Genomik?

Die Chemische Genomik bedient sich wirkstoffartiger Moleküle als modulierender Liganden für zellbiologische Untersuchungen, um z. B. die Funktion bestimmter Gen-Produkte aufzuklären. Während solche Sondenmoleküle lange Zeit nur aufgrund zufälliger Entdeckungen und Beobachtungen aufgefunden wurden, erlauben Fortschritte in der Automatisierung und Parallelisierung von chemischer Synthese und biologischer Analyse die systematische Suche nach Wirkstoffmolekülen für die Untersuchung biologischer Phänomene.

Der mit den Begriffen „Chemische Genetik“ (Studium einzelner Genprodukte mit einer Kombination chemischer und biologischer Methoden), „Chemische Genomik“ (analoges Studium der Produkte einer Genfamilie) umschriebene Forschungsansatz besitzt gegenüber genetischen Methoden entscheidende Vorteile: So ist die Wirkung von kleinen Molekülen sehr rasch und aufgrund von Metabolismus und Ausscheidung auch umkehrbar, weshalb man die Funktion von Proteinen zeitlich kontrolliert untersuchen kann. Der Effekt selbst ist regulierbar, denn durch eine veränderte Konzentration der verwendeten Substanzen lassen sich unterschiedlich starke Ausprägungen des Phänotyps, also des Erscheinungsbilds der untersuchten Zellen oder Organismen, einstellen. Darüber hinaus kann man die Wirkung zu unterschiedlichen Zeitpunkten in der Entwicklung eines Organismus auslösen und untersuchen. Schließlich kann der Effekt von jedem, der Zugang zu dieser Substanz hat, wiederholt werden.

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Wie findet man molekulare Sonden für die Chemische Genetik und der Chemischen Genomik?

Ziel der Chemischen Genetik ist es, Substanzen und Moleküle zu identifizieren, die mit hoher Affinität spezifisch an eines oder einige wenige unter etwa 100.000 verschiedenen Proteinen binden. Methoden der Kombinatorischen Chemie machen es dann möglich, „Bibliotheken“ biologisch potentiell relevanter chemischer Substanzen herzustellen. Eine weitere Quelle für Molekülsonden ist die Isolierung oder chemische Totalsynthese von „Naturstoffen“. Dabei handelt es sich um komplexe Moleküle, die von Pflanzen oder tierischen Organismen synthetisiert werden und die in einem evolutionären Prozess über Millionen von Jahren für einen bestimmten biologischen Zweck optimiert wurden.

Die „Molekülbibliotheken“ werden anschließend in einer Vielzahl von Testsystemen auf ihre biologische Wirkung hin untersucht. Bei diesen automatisierten Screening-Verfahren verfolgt man beispielsweise mit optischen Methoden die Gestaltveränderungen von Zellen oder ganzen Organismen, während man mit Fluoreszenz-basierten Methoden spezielle Biomarker lokalisiert und quantifiziert. Hat man eine Substanz identifiziert, die eine bestimmte biologische Wirkung hat, so dient diese dann wiederum als Ausgangspunkt, um diesen Effekt zu analysieren und das dazu passende Zielprotein zu identifizieren. Mit den Methoden der Genom- und Proteomanalyse wird dann untersucht, welchen Einfluss das Protein bzw. die Wirksubstanz auf die ganze Zelle hat. Kennt man diese Wirkungen, kann man die Substanz als Werkzeug für ausführliche biologische Untersuchungen nutzen. Ist der biologische Effekt schließlich ausreichend studiert und seine therapeutische Relevanz validiert, kann die niedermolekulare Substanz als „Leitstruktur“ für die Entwicklung neuer Medikamente eingesetzt werden.

Die chemische Genomik ist damit ein leistungsfähiger neuer Forschungsansatz für die biomedizinische Grundlagenforschung. Darüber hinaus verspricht sie eine höhere Effizienz bei der Suche nach Leitstrukturen für die Wirkstoffentwicklung, denn sie führt Chemie und Biologie bereits in einem frühen Stadium der Forschung zusammen und kann auf diese Weise sehr rasch Substanztypen mit hoher biologischer Relevanz identifizieren.

Das Zentrum für Chemische Genomik (CGC) in Dortmund

Die Max-Planck-Gesellschaft fördert den neuen interdisziplinären Forschungsansatz durch die Gründung eines institutsübergreifenden Zentrums für Chemische Genomik (CGC). Daran beteiligt sind die Max-Planck-Institute für molekulare Physiologie, Dortmund, für molekulare Zellbiologie und Genetik, Dresden, für Kohlenforschung, Mülheim, für Züchtungsforschung, Köln sowie die Max-Planck-Institute für Psychiatrie, München und für Biochemie, Martinsried. Das Design und die Synthese der biologisch relevanten, an Naturstoffen orientierten Substanzbibliotheken erfolgt in Dortmund und Mülheim, ihr biologisches Screening und die Evaluation der entwickelten Molekülsonden an Pflanzen in Köln sowie in Säugetierzellinien in Dresden, Martinsried, München, Dortmund.

Die von der Industrie unterstützten Nachwuchsgruppen sollen Grundlagenforschung auf neuen, zur Zeit noch wenig verstandenen Gebieten betreiben, deren großes Potential für die Wirkstoffentwicklung jedoch schon jetzt absehbar ist. Ein Beispiel ist hier die pharmakologisch orientierte Untersuchung von Wechselwirkungen zwischen Proteinen in zellulären Signalübermittlungsketten und die Entwicklung von neuen Ansätzen, um diese Interaktionen zu beeinflussen.

(MPG, 26.01.2005 – DLO)

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