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Medizin

Blinddarm: Lieber Antibiotika statt Operation

Antibiotika und Ultraschall-Diagnose senken Fehldiagnosen von Blinddarmentzündungen

Blinddarmentzündung: Viele Mediziner greifen eher zu Antibiotika als zum Skalpell © Kittisak Jirasittichai/ iSTock

Operation unnötig: Bei einem entzündeten Blinddarm muss nicht immer gleich operiert werden – gerade bei Kindern reichen oft auch Antibiotika, wie Mediziner auf einem Kongress berichten. Den Kindern bleiben dadurch oft Narkose und Operation erspart, sie werden erst dann nötig, wenn die Medikamente nicht wirken. Ein weiterer Vorteil: Unnötige OPs durch Fehldiagnosen gehen auf ein Minimum zurück.

Etwa jeder zehnte Deutsche hat seit seiner Kindheit eine kleine Narbe über der rechten Hüfte – eine Blinddarmnarbe. Die Appendektomie gehört zu den häufigsten Operationen überhaupt, in Deutschland wird sie jedes Jahr über 100.000 Mal durchgeführt. Wenn der Wurmfortsatz anschwillt, kann sich die Entzündung auf die gesamte Bauchhöhle ausbreiten, was auch heute noch ein lebensgefährliches Risiko darstellt. Lange Zeit rieten die Chirurgen deshalb beim kleinsten Verdacht auf eine Blinddarmentzündung auch bei Kindern unmittelbar zur Operation.

Antibiotika statt Operation

Doch das hat sich geändert: Heute greifen Ärzte nicht mehr sofort zum Messer, selbst bei einer bereits fortgeschrittenen Appendizitis setzen viele Mediziner stattdessen erst einmal Antibiotika ein. „Dies geschieht mit dem Ziel, solche schweren Komplikationen zu vermeiden sowie eine Operation sicherer zu machen und eventuell sogar verhindern zu können“, erklärt Jörg Fuchs, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie.

Der große Vorteil: Den Kindern bleibt eine Narkose und eine – wenn auch relativ einfache – Operation erspart. Mittlerweile haben mehrere Studien gezeigt, dass eine Antibiotika-Behandlung bei Kindern mit Blinddarmentzündung sicher und effektiv ist. Die Konsequenz: Weltweit diskutieren Kinderchirurgen über die Vor- und Nachteile der Antibiotikabehandlung bei akuter Blinddarmentzündung.

Antibiotika wirken nicht immer

„Die Misserfolgsrate der Antibiotikabehandlung ist mit bis zu 40 Prozent relativ hoch“, räumt Bernd Tillig, Direktor am Vivantes Klinikum Neukölln, ein. Bei einem Rückfall müssen die Kinder dann doch nach einigen Tagen in den OP. Auch von den Kindern, die als „geheilt“ wieder entlassen werden, erkranken 30 Prozent erneut. Dann entscheiden sich Eltern und Ärzte in der Regel für eine Operation.

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Um die Erfolgschancen zu erhöhen, schlagen manche Ärzte eine Alternative vor – die Intervall-Appendektomie. Die Kinder erhalten zunächst Antibiotika. Wenn die Entzündung dann abgeklungen ist, erfolgt die Operation. „Diese vorbeugende Operation gilt als besonders sicher“, erläutert Tillig. Komplikationen sind nach einer Intervall-Appendektomie sehr selten, wenn auch prinzipiell möglich, fügt der Kinderchirurg hinzu.

Sichere Diagnose durch Ultraschall

In der Vergangenheit war die Angst vor einem geplatzten Blinddarm groß. Chirurgen drängten deswegen häufig auf eine schnelle Operation, selbst wenn die Diagnose unklar war. „Viele Appendektomien wurden durchgeführt, obwohl der Blinddarm gar nicht entzündet war“, so Tillig. „Wenn wir Chirurgen dies bei der Operation sahen, wurde der Wurmfortsatz in der Regel vorsorglich entfernt.“

Durch die Gabe von Antibiotika sind solche Fehldiagnosen heute selten geworden. „Die Antibiotika und Schmerzmittel, die die Kinder erhalten, geben uns Zeit, die Diagnose genau zu stellen“, erklärt Tillig. Dies geschieht heute vor allem mit einem Ultraschallgerät. Ultraschall vermeidet nicht nur die Strahlendosis einer CT-Untersuchung, eine Sonographie ist auch sehr zuverlässig.

„Wenn eine akute Appendizitis vorliegt und der Wurmfortsatz verdickt ist, sehen wir das zu 90 Prozent im Ultraschall“, so Tillig. „Es kommt heute nur noch selten vor, dass wir einen Wurmfortsatz grundlos entfernen.“

(135. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie (DGCH), 12.04.2018 – YBR)

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