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Biologie

Überraschung bei Blauwal und Co

Genom-Analyse von Furchenwalen widerspricht gängiger Stammbaum-Aufteilung

Der Blauwal und seine Verwandten haben eine unkonventionelle Evolution hinter sich © MR1805/ iStock.com

Verblüffend anders: Forscher haben erstmals das komplette Erbgut des Blauwals und anderer Furchenwale sequenziert – und dabei Überraschendes entdeckt. Demnach stimmt der bisher gängige Stammbaum dieser Meeressäuger nicht mit den wahren Verwandtschafts-Verhältnissen überein. So ist der Buckelwal kein Außenseiter und die Grauwale gehören doch zu den Furchenwalen. Überraschend auch: Die Furchenwal-Arten paarten sich auch nach der Artbildung häufig miteinander.

Sie sind die Giganten der Ozeane: die Blauwale. Mit bis zu 30 Metern Länge und bis zu 175 Tonnen Gewicht sind diese Furchenwale die größten Tiere der Erde. Typisch für sie sind Reusen-ähnlichen Barten im Maul, mit denen sie winzige Krebstiere aus dem Wasser filtern. Die Vorfahren von Blauwal und Co entwickelten sich vor rund 50 Millionen Jahren aus landlebenden Säugetieren. In Anpassung an ihr Leben im Wasser entwickelten sie dann ihre Barten und die stromlinienförmige Körperform.

Ungeklärte Verwandtschaft

Doch wie die Evolution der Bartenwale und der Familie der Furchenwale weiterging, war bisher umstritten. So gelten zwar Blauwal und Finnwal als eng verwandt. Der Buckelwal jedoch galt bisher als eigene Gattung der Furchenwale – unter anderem wegen seiner ungewöhnlich großen Brustflossen. Der Grauwal (Eschrichtius robustus) wurde wegen der Unterschiede im Aussehen, aber auch in seiner Lebensweise sogar in eine eigene Familie neben den Furchenwalen eingeordnet.

Um mehr Licht in die Verwandtschafts-Verhältnisse von Blauwal und Co zu bringen, haben nun Fritjof Lammers vom Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum in Frankfurt und seine Kollegen erstmals das komplette Genom des Blauwals und weitere Furchenwale, darunter Buckelwal und Grauwal, sequenziert. Durch DNA-Vergleich konnten sie so Stammbaum und Evolution der Furchenwale rekonstruieren.

Aus den Genom-Daten rekonstruierter Stammbaum © nach Daten von Lammers et al., Science Advances

Anders verwandt als gedacht

Das überraschende Ergebnis: Der Grauwal gehört doch zu den Furchenwalen. Er ist eng mit Finnwal und Buckelwal verwandt und bildet ihre Schwestergruppe, wie die Gendaten enthüllen. „Trotz ihrer abweichenden Morphologie gehören die Grauwale ohne Frage zur Gattung Balaenoptera“, berichten die Forscher. „Das widerspricht ihrem momentanen Status als eigener Gattung und Familie.“

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Auch der Buckelwal steht im Stammbaum der Furchenwale an anderer Stelle als erwartet: Er bildet mit den Finnwalen eine Gruppe und ist damit keineswegs ein „Außenseiter“, wie bisher angenommen. Am engsten mit den Blauwalen verwandt sind dagegen die Seiwale – darin weicht der genetische Stammbaum ebenfalls von der klassischen Einordnung ab.

Keine Barrieren

Ungewöhnlich auch: „Die Evolution der Furchenwale ist nicht durch eine geordnete Abfolge von Abzweigungen charakterisiert, wie man es bei der Artbildung der meisten andere Säugetiere kennt“, berichten die Forscher. „Stattdessen scheinen sich die Unterschiede zwischen diesen Walen graduell entwickelt zu haben, bis dann die drei Hauptlinien nahezu gleichzeitig entstanden.“ Die Verwandschaftsbeziehungen der Furchenwale ähneln damit eher einem Netz als einem klassischen Stammbaum.

Den neuen Erkenntnissen nach gehört der Grauwal sogar zur gleichen Gattung wie der Blauwal. © Mogens Trolle/ iStock.com

Einer der Gründe dafür: „Arten bilden sich gewöhnlich durch reproduktive Isolation, die durch genetische oder geografische Barrieren entsteht“, erklärt Lammers. „Beides scheint für Furchenwale nicht zu gelten.“ Denn weil die großen Meeressäuger auf ihren Wanderungen ganze Ozeane durchstreifen, kommen sie selbst mit weit entfernt lebenden Artgenossen, aber auch Angehörigen anderer Arten in Kontakt. „Verglichen mit der terrestrischen Umwelt ist der Ozean ein dreidimensionales Kontinuum“, so die Wissenschaftler. „Es gibt hier fast keine Barrieren, die eine allopatrische Artbildung bei so hochgradig mobilen Organismen erlauben würden.“

Kreuzungen zwischen Arten bis heute

Und noch eine Besonderheit enthüllten die DNA-Daten: Die Furchenwale haben sich während und nach ihrer Artbildung immer wieder über die entstehenden Artgrenzen hinweg gepaart. „Diese sogenannte Artbildung mit Genfluss gilt in der Natur als selten“, erklärt Lammers. Häufig sind Hybride zwischen zwei verwandten Arten nicht mehr fortpflanzungsfähig, wie beispielsweise bei Maultieren, den Kreuzungsprodukten von Esel und Pferd der Fall.

Doch bei den Furchenwalen gilt dies offenbar nicht. „Selbst acht Millionen Jahren nach ihrer Trennung – das entspricht rund 400.000 Generationen – könne einige Furchenwal-Arten hybridisieren“, sagen die Forscher. So werden bis heute immer wieder trächtige Hybride von Finn- und Blauwalen gesichtet, was ihre Fortpflanzungsfähigkeit belegt. Insgesamt ist damit die Geschichte von Blauwal und Co ein Beispiel für eine eher unkonventionelle Artbildung und Evolution. (Science Advances, 2018; doi: 10.1126/sciadv.aap9873)

(Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseen, 06.04.2018 – NPO)

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