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Zoologie

Kindsmord unter Braunbären

Mit forensischer Technologie spüren Forscher den Problembär auf

Auch Braunbärmännchen töten fremde Jungtiere - hier eine Mutter mit ihren drei Jungen. © Arend / CC-BY-SA 2.0

Dem Täter auf der Spur: Wissenschaftler haben zum ersten Mal Kindsmord bei Braunbären mit modernster forensischer Technik nachgewiesen. Mit nur wenig Genmaterial spürten sie den Bären auf, der eine Bärenmutter und ihre beiden Junge getötet hatte. In kleinen Populationen – wie bei neuangesiedelten Bären – kann dieses brutale Phänomen schwerwiegende Auswirkungen auf den Arterhalt haben, so die Forscher.

Beim Kindsmord oder Infantizid tötet ein männliches Tier fremde Jungtiere, damit deren Mutter schneller wieder gebären kann, nun eben für das neue Männchen. So töten Löwen – wenn sie zum Rudelführer aufsteigen – häufig alle Nachkommen ihres Vorgängers. Oft fressen die Täter auch noch ihre Opfer. Will die Mutter aber ihren Nachwuchs verteidigen, kann es für sie fatal enden. Auch bei Braunbären kommt diese auf uns grausam wirkende Strategie zur Fortpflanzung vor.

Mit modernster Forensik

In den italienischen Alpen, nordwestlich von Trient, hat Francesca Davoli vom Italienischen Institut für Umweltschutz und -forschung nun einen Kindsmord unter Braunbären aufgeklärt. Die Wissenschaftler kamen dem Täter auf die Schliche, indem sie forensische Technik und Software nutzten, die auch Ermittler für die Analyse menschlicher Genprofile verwenden.

Die Tätersuche verlief wie in einem Fernsehkrimi. Dabei half den „Ermittlern“ eine genetische Datenbank, die das Genprofil aller 45 in dem Gebiet lebenden Braunbären enthielt. In der Hoffnung auf einen Treffer, nahmen die Forscher Haarproben vom Tatort und Speichelproben aus den Wunden der Opfer. Aus den kleinen Mengen des gewonnenen Genmaterials isolierte die forensische Software dann jene Genmarker heraus, die zum Täter gehörten.

Die getöteten Jungtiere © M. Baggia e R. Calvetti Archivio Prov. Aut. di Trento / CC-BY 4.0

Tatort Unterholz

Als die Kadaver einer Bärenmutter und ihrer beiden Jungen im dichten Wald gefunden wurden, war schnell klar. Ein Mensch ist nicht dafür verantwortlich. Alles deutete auf einen Artgenossen hin: Umgeknickte Bäume, Krallen- und Bissspuren, die Opfer waren teilweise gefressen worden. Die Mutter war mit Erde und Pflanzen bedeckt – typisch für Bären, die einen Kadaver vor Aasfressern schützen wollen. Es gab auch einen Zeugen, der am Tag zuvor laute Geräusche im Wald gehört hatte. Die Mutter schien ihre Jungen also nicht kampflos aufgegeben zu haben.

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Die üblichen Verdächtigen

Aus den Speichelproben erhielten die Forscher vier stark überlappende Genprofile, die sie mit denen der Bärenmännchen im Gebiet verglichen. Der erste Verdacht viel auf den Vater der Bärenjungen, denn seine genetischen Marker wurden in den Wunden der Mutter gefunden. Im Vergleich zu den anderen Verdächtigen wies er die meisten Übereinstimmungen und wenigsten Abweichungen in der Gensequenz auf. Bisherige Studien zeigten jedoch etwas anderes: Es sind normalerweise nie die Bärenväter, die den Kindsmord begehen.

Die Forscher entwickelten eine neue Theorie: Offenbar hatte der Täter Mutter und Jungen abwechselnd gebissen und dabei das Blut von den Kleinen in den Wunden der Mutter hinterlassen. Das vermeintliche Genmaterial des Vaters stammte somit in Wirklichkeit aus dem Blut der Jungen – sie hatten die Hälfte seiner Gene geerbt.

Nachdem der Bärenvater auf diese Weise entlastet war, fiel der Verdacht nun auf den Bären mit den zweithäufigsten genetischen Übereinstimmungen. Sein Name in der Datenbank: M7. Und tatsächlich: Wie die Forscher berichten, bestätigten weitere statistische Analysen M7 als Täter. Was genau mit dem Problembären jetzt passiert, lassen die Forscher offen.

Kindsmord gefährdet kleine Gruppen

Ein Kindsmord wie in diesem Fall könnte ein wichtiger Faktor in Bärenpopulationen sein. „Infantizid kann den Langzeitschutz einer Spezies negativ beeinflussen, wenn die Population isoliert ist und wenige sich fortpflanzende Tiere enthält, besonders wenn die Mutter beim Schutz der Jungen getötet wird“, sagen die Wissenschaftler. „Die genetische Identifizierung der Täter könnte damit Hinweise darauf geben, wie man solch kleine Populationen managen sollte, zum Beispiel indem man infantizide Männchen mit Sendern verfolgt.“ (Nature Conservation, 2018; doi: 10.3897/natureconservation.25.23776)

(Pensoft Publishers, 27.02.2018 – YBR)

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