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Neurobiologie

Musikalisches Gedankenlesen gelungen

Computerprogramm erkennt gehörte Musikstücke anhand der Hirnaktivität

Welches Musikstück jemand gerade hört, können Forscher jetzt allein mittels Hirnscans rekonstruieren. © Phonlamai/ iStock.com

Ausspioniertes Gehirn: Forscher können allein an unserer Hirnaktivität erkennen, welches Musikstück wir gerade hören – und das mit einer Trefferquote von bis zu 85 Prozent. Möglich wird dies durch die Kombination von hochgenauen Hirnscans mit einer lernfähigen Software. Diese lernt, welche neuronalen Muster für welche Musik typisch sind. Die neue Technik könnte gelähmten Patienten zugutekommen oder eines Tages sogar helfen, musikalische Halluzinationen zu „lesen“.

Lange war das Gedankenlesen reine Science-Fiction, ein gruselig, faszinierender Wunschtraum. Doch dank immer besserer Hirnscanner und Auswertungs-Algorithmen rückt diese Fähigkeit immer mehr in das Reich des Machbaren. Neurowissenschaftler können anhand der Hirnaktivität bereits rekonstruieren, was ein Mensch sagt, welche Buchstaben er liest und sogar, welche Filmszene er gerade sieht.

Von Klassik bis Rock

Jetzt haben Sebastian Hoefle vom D’Or Forschungsinstitut in Rio de Janeiro und seine Kollegen das Spektrum des „Gedankenlesens“ noch erweitert. Ihnen ist es gelungen ihren Probanden am Gehirn abzulesen, welche Musikstücke sie gerade hörten. Für das Experiment spielten sie zunächst ihren sechs Teilnehmer 40 kurze Musikstücke vor. Die Auswahl reichte dabei von Klassik über Jazz und Folk bis hin zu Rock und Pop und umfasste sowohl Instrumentalstücke als auch Gesungenes.

Während der zwei Stunden dieser Musikberieselung zeichneten die Forscher die Hirnaktivität der Probanden mittels funktioneller Magnetresonanz-Tomografie (fMRT) auf. Eine spezielle Software nutzte diese Daten anschließend um zu lernen, welche akustischen und neuronalen Muster welchen Musikstücken und Stilen entsprachen.

Aktive Hirnareale von drei Probanden beim Hören von Musikstücken © Hoefle et al./ Scientific Reports, CC-by.sa 4.0

Trefferquote bis zu 85 Prozent

Dann folgte der eigentliche Test: Jedem Teilnehmer wurde eines von zwei neuen, zuvor nicht gehörten Musikstücken vorgespielt. Der Computer wertete erneut die MRT-Daten aus und musste nun anhand der Verteilung der Aktivität herausfinden, welchem Stil das Stück entsprach und welchem der bekannten Musikstücke es am ähnlichsten war.

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Das Ergebnis: „Die Trefferquote lag bei vier Probanden zwischen 70 und 78 Prozent, bei den restlichen beiden sogar bei 84 und 84 Prozent“, berichten Hoefle und seine Kollegen. „Das ist signifikant oberhalb eines bloß zufälligen Ergebnisses.“ Ähnlich gut gelang das „Gedankenlesen“ in einem zweiten schwierigeren Test mit gleich zehn neuen Musikstücken.

Neuer Einblick ins musikalische Gehirn

„Damit haben wir die Möglichkeiten solcher Kodierungs- und Dekodierungsmodelle von der visuellen und sprachlichen Domäne in den musikalischen Bereich erweitert“, konstatieren Hoefle und seine Kollegen. „Durch unsere Ergebnisse können wir besser verstehen wie das Gehirn komplexe auditorische Sinneswahrnehmungen verarbeitet und wie sich musikalische Informationen im Gehirn widerspiegeln.“

Das musikalische „Gedankenlesen“ könnte es eines Tages vielleicht sogar ermöglichen, musikalische Halluzinationen zu entschlüsseln. Denn bei diesen reproduziert das Gehirn quasi im „Leerlauf“ Prozesse und neuronale Muster, die für real gehörter Musik typisch sind. „Durch unsere Dekodierungsmodelle könnten wir die Inhalte von solchen Halluzinationen, aber auch der musikalischen Vorstellungskraft oder von Tagträumen rekonstruieren“, so die Forscher. „Die Maschinen übersetzen dann unsere musikalischen Gedanken in reale Musik.“ (Scientific Reports, 2018; doi: 10.1038/s41598-018-20732-3)

(D’Or Institute for Research and Education, 06.02.2018 – NPO)

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