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Geowissen

Rätsel um Unterwasser-Tropfsteine

Kalzitformationen in einer Cenote in Mexiko entstanden auf einzigartige Weise

Ungewöhnliche Kalkfomationen: Unterwasser-Tropfsteine "Hells Bells" in der El Zapote-Höhle auf Yucatan © E.A.N./ IPA/INAH/MUDE/ UNAM/Heidenlerg

Einzigartiges Naturphänomen: In einer wassergefüllten Höhle auf Yucatan haben Forscher äußerst ungewöhnliche Tropfsteine entdeckt. Denn sie sind nicht an der Luft, sondern unter Wasser gewachsen. Die bis zu zwei Meter langen Kalzitformationen sind zudem innen hohl und weiten sich am unteren Ende trompetenförmig. Entstanden sind sie wahrscheinlich durch ein Zusammentreffen ganz spezieller Bedingungen im Wasser der Höhle – und durch die Mithilfe von Mikroben.

Tropfsteine sind faszinierende Kunstwerke der Natur. Typischerweise bilden sie sich in Höhlen innerhalb von Kalksteinformationen. Regenwasser sickert durch den Kalk und nimmt dabei Kalziumkarbonat auf. An der Höhlendecke treten diese gesättigten Tropfen aus. Beim Heruntertropfen fällt ein Teil des Kalziumkarbonats aus und bleibt an der Höhlendecke hängen – im Laufe von Jahrtausenden entsteht so ein immer länger werdender Kalkzapfen – ein Stalaktit.

Hohl und trompetenförmig statt massive Zapfen

Doch es geht offenbar auch ganz anders, wie nun eine Entdeckung in der El Zapote-Höhle auf der mexikanischen Halbinsel Yucatan demonstriert. In dem wassergefülltem Sinkloch rund 36 Kilometer von Cancun entfernt haben Taucher seltsam glockenförmige Stalaktiten entdeckt. Die von Tauchern „Hells Bells“ – Höllenglocken – getauften Formationen sind bis zu zwei Meter lang und seltsamerweise innen hohl.

Statt wie normale Stalaktiten nach unten hin schmaler zu werden, weiten sich diese Tropfsteine zu ihrem Ende hin auf. „Sie ähneln damit Glocken, Lampenschirmen, Trompeten, Rüsseln oder zungenförmigen Vorsprüngen, die bis zu 80 Zentimeter Durchmesser erreichen“, berichten Wolfgang Stinnesbeck von der Universität Heidelberg und seine Kollegen. Häufig wachsen in den größeren Formationen kleinere Tochtertropfsteine.

Die Hells Bells sind bis zu zwei Meter lang - und damit die größten bekannten Unterwasser-Tropfsteine überhaupt. © E.A.N./ IPA/INAH/MUDE/ UNAM/Heidelberg

Unter Wasser gewachsen

Ungewöhnlich auch: Die Hells Bells-Tropfsteine liegen 29 bis 35 Meter unter dem Wasserspiegel der Cenote. „Die Frage war daher, ob diese Kalzitstrukturen alt sind und aus einer Zeit stammen, in der die Höhle bis in diese Tiefen hinab trocken war“, erklären Stinnesbeck und seine Kollegen. „Oder ob sie zu den seltenen Speleothermen gehören, die unter Wasser wachsen und die bisher nur von sehr wenigen Fundstellen dokumentiert sind.“

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Um das zu klären, haben die Forscher Proben zweier Tropfsteine geborgen und ihr Alter mittels Uran-Thorium-Datierung bestimmt. Das Ergebnis: Die Hells Bells sind geologisch gesehen noch sehr jung, wahrscheinlich entstanden sie innerhalb der letzten 4.500 Jahre, wie die Datierungen ergaben. „Damit sind zumindest die von uns datierten Exemplare eindeutig in einer Zeit gewachsen, als die Höhle bereits lange unter Wasser lag und der Wasserspiegel etwa dem heutigen entsprach“, berichten die Wissenschaftler.

Günstige Wasserchemie

Doch wie ist ein Tropfstein-Wachstum unter Wasser überhaupt möglich? Hinweise darauf lieferten Analysen von Wasserproben aus der Cenote. Denn sie enthüllten, dass das Wasser in der Höhle stark geschichtet ist: Über einer tieferen Schicht aus sulfidhaltigem Salzwasser liegt eine bis in knapp 30 Meter Tiefe reichende Süßwasserschicht – und genau in dieser sind die Hells Bells-Tropfsteine offenbar gewachsen.

Die Forscher vermuten, dass die speziellen chemischen und physikalischen Bedingungen nahe der Halokline – der Grenzschicht zwischen Salz- und Süßwasser das Wachstum der „Höllenglocken“ ermöglicht haben. Demnach steigt aus der Salzwasserzone gelöstes Kalzium auf und führt zu einer Übersättigung des darüberliegenden Süßwassers. Kombiniert mit den wechselnd sauerstoffarmen und sauerstoffreichen Schichtungen ermöglicht es dies den Tropfsteinen, dort zu wachsen.

Ein günstige Kombination von chemisch-physikalischen Bedingungen und Mikrobentätigkeit ermöglichte die Bildung der Hells Bells. © E.A.N./ IPA/INAH/MUDE/ UNAM/Heidelberg

Hilfe von Mikroben

Zusätzlich jedoch könnten noch andere, lebende Akteure am Wachstum der „Höllenglocken“ beteiligt sein. Denn mikrobiologische Analysen ergaben, dass die Tropfsteine von einer ganz speziellen Gemeinschaft von Bakterien besiedelt sind. Zu diesen gehören auffällig viele Mikroben, die Stickstoffverbindungen verarbeiten und dabei den pH-Wert des umgebenden Wassers erhöhen. Das wiederum begünstigt das Ausfallen des gelösten Kalzits

„Es könnte sein, dass die Verfügbarkeit von organischem Karbon und Nitrat, kombiniert mit der autotrophen Aktivität einiger Bakterien eine Mikroumgebung um die Hells Bells erzeugt, die zu einer langsamen, aber massiven Ausfällung von Kalzit führt – und letztlich zur Entstehung der Formationen“, mutmaßen die Forscher. Gestützt wird diese Annahme durch einige Ähnlichkeiten der Unterwasser-Tropfsteine mit Stromatolithen – kissenförmigen, geschichteten Gesteinsgebilden, die ebenfalls durch die Mithilfe von Mikroben entstehen.

Rätsel bleiben

Noch sind die Entstehungsdetails der faszinierenden Kalzitformationen in der mexikanischen Unterwasser-Höhle nicht geklärt. Klar ist aber schon jetzt, dass die „Höllenglocken“ ziemlich einzigartig sind: „Die Hells Bells der El Zapote-Höhle repräsentieren ein rätselhaftes Ökosystem, das die Bildung der größten bekannten Unterwasser-Speleothermen weltweit ermöglichte“, konstatieren Stinnesbeck und seine Kollegen. (Palaeogeography, Palaeoclimatology, Palaeoecology, 2017; doi: 10.1016/j.palaeo.2017.10.012)

(Universität Heidelberg, 27.11.2017 – NPO)

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