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Biologie

Waldspitzmaus lässt ihren Kopf schrumpfen

Mäuse verkleinern im Herbst ihre Schädel und Organe, um Energie zu sparen

Die Waldspitzmaus durchlebt in jedem Herbst eine radikale Schrumpfkur - sogar ihr Schädel verkleinert sich dabei. © MPI für Ornithologie/ J. Lazaro

Skurrile Anpassung: Unsere heimischen Waldspitzmäuse bereiten sich in einzigartiger Weise auf den Winter vor. Alljährlich im Herbst verkleinern sie ihre Köpfe um bis zu 20 Prozent – mitsamt Schädelknochen und Gehirn. Auch die Wirbelsäule und inneren Organe der Spitzmäuse schrumpfen, um dann im Frühjahr wieder zu wachsen, wie die Forscher im Fachmagazin „Current Biology“ berichten. Mit dieser radikalen Schrumpfkur sparen die Waldspitzmäuse vermutlich Energie.

Waldspitzmäuse führen ein Leben auf der Überholspur: Die kleinen Insektenfresser verbrennen so viel Energie, dass sie schon nach zwei bis drei Stunden ohne Nahrung verhungern. Genügend Futter zu finden, ist aber vor allem im Winter nicht leicht. Denn die Spitzmäuse benötigen dann noch mehr Energie, um trotz Kälte warm zu bleiben, gleichzeitig aber sind Insekten und Spinnen in der kalten Jahreszeit rar.

Radikale Schrumpfkur

Während andere Säugetiere dieses Dilemma mit einem Winterschlaf umgehen, haben die Waldspitzmäuse eine sehr ungewöhnliche Strategie entwickelt: Sie schrumpfen. Das haben Javier Lazaro vom Max-Planck-Institut für Ornithologie in Radolfzell und seine Kollegen herausgefunden, als sie zwölf Waldspitzmäuse mit einem reiskorngroßen Sender ausstatteten. Sie konnten so dieselben Tiere im Herbst, Winter und Frühjahr einfangen, wiegen und mittels Röntgen vermessen.

Das überraschende Ergebnis: Jedes Jahr im Herbst nimmt die Schädelgröße der kleinen Insektenfresser um durchschnittlich 15 Prozent ab und auch ihre Hirnmasse verringert sich um bis zu 30 Prozent. Gleichzeitig sinkt das Körpergewicht der Spitzmäuse um knapp 18 Prozent und Wirbelsäule und innere Organe schrumpfen ebenfalls, wie die Forscher berichten.

Röntgenaufnahme des Schädels einer Waldspitzmaus im Sommer (links) und im folgenden Winter - die Schädelhöhe hat deutlich abgenommen. © MPI für Ornithologie/ J. Lazaro

„Einzigartig unter den Säugetieren“

Dieser Schrumpfprozess kehrt sich im Frühjahr wieder um: Schädel und Gehirn der Waldspitzmäuse wachsen um im Mittel neun Prozent. Ihr Körpergewicht nimmt dabei sogar um mehr als 80 Prozent zu – eine rasante Steigerung. Bis zum Sommer haben die Tiere dann ihre ursprüngliche Größe und Masse wieder erreicht, wie die Messungen ergaben.

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„Dies ist die bisher größte bekannte reversible Veränderung von Schädelgröße und Masse bei einem Säugetier“, konstatieren Lazaro und seine Kollegen. Denn bei den meisten Säugetieren wachsen Kopf und Skelett nur in eine Richtung: Sie werden im Laufe des Lebens größer und stagnieren dann. „Nur in sehr seltenen Fällen kann sich die Körpergröße in Anpassung an harte Umweltbedingungen dann noch ändern“, erklären die Forscher.

Verkleinern zum Energiesparen

Aber warum unterzieht sich die Waldspitzmaus einer so radikalen Schrumpfkur – und das in jedem Herbst aufs Neue? Die Wissenschaftler vermuten, dass eine extreme Form des Energiesparens dahintersteckt. „Wenn ihre Körpermasse um rund 19 Prozent sinkt, verringert sich der Ruhestoffwechsel der Spitzmäuse ebenfalls um gut 18 Prozent“, so Lazaro und seine Kollegen.

Weniger Energieverbrauch bedeutet wiederum, dass die Spitzmäuse in der kargen Winterzeit auch weniger Futter benötigen, um zu überleben. „Daher könnte das Schrumpfen von Körper und Schädel eine Überwinterungsstrategie der Spitzmäuse sein – ihre Alternative zum Winterschlaf oder Wegziehen“, sagen die Forscher.

Mechanismus noch unklar

Wie genau die Schrumpfkur der Waldspitzmäuse vor sich geht und durch welchen Mechanismus ihr Schädel kleiner wird, ist bisher noch nicht erforscht. Die Wissenschaftler vermuten aber, dass das Knochenmaterial entlang der Schädelnähte resorbiert wird. Unklar ist auch, ob und wie das Schrumpfen ihres Gehirns die kognitiven Leistungen der Spitzmäuse im Winter beeinträchtigt. Das wollen Lazaro und seine Kollegen nun als nächstes untersuchen. (Current Biology, 2017; doi: 10.1016/j.cub.2017.08.055)

(Cell Press/ Max-Planck-Gesellschaft, 24.10.2017 – NPO)

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