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Astronomie

Blick auf die andere Seite der Milchstraße

Astronomen bestimmen Entfernung einer Sternenfabrik weit jenseits des galaktischen Zentrums

Auf der anderen Seite der Galaxie: Künstlerische Darstellung der Milchstraße mit der Position der Erde und dem Sternentstehungsgebiet © Bill Saxton/ NRAO /AUI /NSF; Robert Hurt/ NASA

Wie sieht die Milchstraße von oben aus? Um ein besseres Bild davon zu erhalten, wollen Astronomen unsere Galaxie vermessen. Ein entscheidender Schritt auf diesem Weg ist ihnen nun gelungen: Sie bestimmten die Entfernung zu einem Sternentstehungsgebiet, das sich auf der anderen Seite der Milchstraße befindet – den Messungen zufolge ist es 66.000 Lichtjahre von uns entfernt. Damit sind die Forscher so weit in die unbekannten Tiefen unserer Galaxie vorgedrungen wie niemals zuvor.

Unsere Heimatgalaxie ist noch lange nicht vollständig erkundet und erforscht – im Gegenteil. So gelang es Astronomen erst kürzlich, die Positionen von einer Milliarde Sternen in der Milchstraße genau zu bestimmen. Auch das zweitgrößte Schwarze Loch unserer Galaxie haben sie erst vor kurzem aufgespürt, ebenso wie einen kosmischen Teilchenbeschleuniger in ihrem Zentrum. Dank einer ersten Alterskarte ist zudem jetzt bekannt, dass die Milchstraße einst von innen nach außen gewachsen ist.

Rätsel der Struktur

Weitestgehend im Dunkeln liegt dagegen noch die Struktur der Milchstraße. Das meiste Material in unserer Galaxie befindet sich in einer flachen Scheibe, in die auch unser Sonnensystem eingebettet ist. Da wir nicht von außen auf die Milchstraße blicken können, kann der Aufbau ihrer Spiralstruktur nur durch die Bestimmung des Abstands zu einzelnen Objekten an unterschiedlichen Positionen der Galaxie vermessen werden.

Messungen auf der anderen Seite der Milchstraße sind jedoch kompliziert, weil Sterne, Staub und Gas den Blick durch das galaktische Zentrum versperren. Wissenschaftlern ist dies nun trotzdem gelungen. Sie haben die Entfernung zu einem markanten Objekt vermessen, das sich weit jenseits des galaktischen Zentrums befindet – und damit einen neuen Rekord für eine Entfernungsbestimmung innerhalb der Milchstraße aufgestellt.

Sternenfabrik im Fokus

Das Team um Alberto Sanna vom Max-Planck-Institut für Radioastronomie in Bonn nahm dafür ein fernes Sternentstehungsgebiet ins Visier. Denn in diesen Sternenfabriken gibt es Bereiche, in denen Wasser- und Methanmoleküle als natürliche Verstärker von Strahlung im Radiobereich des elektromagnetischen Spektrums wirken. Dank dieses sogenannten Masereffekts können solche Objekte auch durch das galaktische Zentrum hindurch beobachtet werden.

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Um die Entfernung zum Sternentstehungsgebiet G007.47+00.05 zu bestimmen, nutzten die Forscher eine fast 200 Jahre alte Methode: die trigonometrische Parallaxe. Diese Messtechnik, die der deutsche Astronom Friedrich Bessel 1838 erstmals anwendete, vermisst die scheinbare Verschiebung der Position eines Himmelsobjekts, wenn man es von entgegengesetzten Positionen der Umlaufbahn der Erde bei ihrem Lauf um die Sonne betrachtet – etwa einmal im Sommer und einmal im Winter.

Derselbe Effekt sorgt dafür, dass ein Finger, den man sich direkt vor die Nase hält, hin und her zu springen scheint, wenn man ihn abwechselnd nur mit dem rechten oder dem linken Auge betrachtet. Aus der Größe des Winkels der scheinbaren Positionsverschiebung lässt sich die Entfernung des Objekts ableiten: Je kleiner der gemessene Winkel, desto größer die Entfernung.

66.000 Lichtjahre entfernt

Was Bessel seinerzeit nutzte, um die Entfernung eines Sterns im Sternbild Schwan zu bestimmen, ist heute viel präziser möglich: Mit dem „Very Long Baseline Array“ (VLBA), einem kontinentalen Radioteleskop-Netzwerk mit zehn über Nordamerika, Hawaii und die Karibik verteilten Teleskopen, lassen sich Parallaxen tausendmal genauer bestimmen als es für den Astronomen möglich war.

Wie die Wissenschaftler berichten, berechneten sie mithilfe dieser Methode für das von ihnen beobachtete Sternentstehungsgebiet eine Entfernung von 66.000 Lichtjahren. Damit befindet sich das Objekt nicht nur weit jenseits des 27.000 Lichtjahre entfernten galaktischen Zentrums. Seine Entfernung ist auch fast doppelt so groß wie die bislang größte auf diese Weise gemessene Distanz in der Milchstraße, die bei rund 36.000 Lichtjahren lag.

Wie sieht die Milchstraße von oben aus?

„Die meisten Sterne und das meiste Gas in unserer Milchstraße liegen innerhalb der mit der neuen Messung erzielten Reichweite. Mit dem VLBA haben wir jetzt das Potential, eine genügende Anzahl von Entfernungen abzuleiten, um damit Form und Verlauf der Spiralarme in unserer Galaxie zu bestimmen“, erklärt Sanna.

Das Ziel der Astronomen ist es aufzuzeigen, wie unsere Milchstraße genau aussehen würde, wenn man von oben aus etwa einer Million Lichtjahre Entfernung auf die gewaltige Spirale blicken könnte, anstatt sie aus der Scheibe heraus untersuchen zu müssen. Diese Aufgabe wird noch eine Reihe von weiteren Beobachtungen erfordern sowie eine Menge mühevoller Arbeit in der Datenanalyse.

Aber, so sagen die Wissenschaftler, die Werkzeuge für das Projekt sind vorhanden. Wie lange wird es noch dauern? „Innerhalb der nächsten zehn Jahre sollten wir ein ziemlich komplettes Bild erhalten“, schließt Mitautor Mark Reid vom Harvard-Smithsonian Center for Astrophysics. (Science, 2017; doi: 10.1126/science.aan5452 )

(Max-Planck-Institut für Radioastronomie, 13.10.2017 – DAL)

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