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Neurobiologie

Ohr beim Hören „zugeschaut“

Prozesse mit bisher unerreichter Präzision entschlüsselt

Wer gut hören will, muss schnelle Ohren haben. Nur Bruchteile einer Sekunde stehen zur Verfügung, um aus einem Schallsignal die entscheidenden Informationen zu gewinnen, damit die Bedeutung eines Wortes erkannt oder die Richtung eines Geräusches bestimmt werden kann. Zwei Forscher, Tim Gollisch und Professor Andreas Herz von der Humboldt-Universität zu Berlin, haben nun ein neuartiges Verfahren entwickelt, mit dem sich im Tierversuch die einzelnen Vorgänge, die dabei im Ohr stattfinden, gleichzeitig und ohne Verletzung des Ohres beobachten lassen.

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Am Beispiel des Heuschreckenohres konnten sie zeigen, dass die Umwandlung von Schall in Nervensignale durch eine Kette von vier fundamentalen Schritten vermittelt wird, die jeweils nicht länger als eine Tausendstel Sekunde dauern. Die einzelnen Schritte konnten dabei mit einer zeitlichen Präzision im Bereich von Millionstel Sekunden bestimmt werden. Die Forscher erwarten, dass das Verfahren auch bei vielen anderen biologischen Systemen zum Entschlüsseln schneller Signalketten beitragen wird.

In Rahmen ihrer Studie zeigen die beiden Wissenschaftler, dass es möglich ist, feinste Details der Schallverarbeitung im Ohr aufzudecken, indem man untersucht, wie Hörsinneszellen auf kurze „Klick-Geräusche“ reagieren. Dazu spielten sie einer Heuschrecke unterschiedliche Kombinationen solcher Klicks vor und maßen gleichzeitig die elektrische Aktivität in den Hörsinneszellen. War das Geräusch stark genug, so signalisierte die Nervenzelle dies durch eine elektrische Entladung, ansonsten blieb sie inaktiv.

Tricks mit Klicks

Der entscheidende „Trick“ bei den Experimenten bestand nun darin, solche Kombinationen von Klicks zu suchen, auf die eine Nervenzelle mit gleicher Stärke antwortete. Standen die Klicks beispielsweise im richtigen zeitlichen Abstand zueinander, konnten sie sehr leise vorgespielt werden, war ihr Abstand ungünstig, musste ihre Lautstärke erhöht werden. Durch ihre Vorliebe für bestimmte Kombinationen von Klicks verrieten die Nervenzellen, welchen Zeitverlauf die Prozesse im Ohr haben, die zur elektrischen Entladung führen.

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Mit Hilfe eines mathematischen Modells zeigte sich dann, dass das durch einen Klick angeregte Trommelfell nur zwei- bis dreimal schwingt, bevor es wieder zur Ruhe kommt. Dies geschieht schon nach weniger als einer Tausendstel Sekunde. Ähnlich schnell entsorgt die Nervenzelle alte Signale, indem sie elektrisch geladene Teilchen mit hoher Geschwindigkeit aus ihrem Inneren herauslässt. Sie verdrängt damit quasi „Erinnerungen“ an frühere Geräusche. Dieses kurze Gedächtnis führt dazu, dass die Sinneszelle immer wieder unvoreingenommen auf neue Ereignisse reagieren und so besonders viel Information über ein Schallsignal weitergeben kann.

Signalketten existieren in vielen biologischen Systemen

Mit dem neuen Verfahren kann der exakte Zeitverlauf der einzelnen Schritte nun erstmals mit einer Genauigkeit gemessen werden, die nur durch die Präzision begrenzt wird, mit der das Schallsignal dargeboten wird. In den Untersuchungen von Gollisch und Herz konnte damit die zeitliche Auflösung gegenüber bisher verwendeten Methoden um mehr als das Hundertfache verbessert werden, mit Hochpräzisions-Lautsprechern wären noch weitere Steigerungen möglich.

Signalketten findet man nicht nur im Ohr und anderen Sinnesorganen, sondern auch in vielen weiteren biologischen Systemen, zum Beispiel beim Ablesen des genetischen Codes oder der Regulation von zellulären Prozessen. Die Forscher gehen daher davon aus, dass sich mit der neu entwickelten Methode auch dort bisher verdeckte Verarbeitungsschritte entschlüsseln und mit hoher Genauigkeit messen lassen.

(idw – Humboldt-Universität zu Berlin, 06.01.2005 – DLO)

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