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Chemie

Edelgase gehen „unmögliche“ Bindung ein

Chemiker beobachten Xenon und Krypton erstmals bei Reaktion mit einem Anion

Das Edelgas Xenon ist ziemlich reaktionsträge, es bindet fast nur an Partner mit starkem Elektronenmangel – so dachte man bisher. © Jurii/CC-by-sa 3.0

„Verbotene“ Reaktion: Chemiker haben Edelgase erstmals zu einer bisher als unmöglich geltenden Reaktion gebracht: Spontan und bei Raumtemperatur reagierten Xenon und Krypton mit einem negativ geladenen Anion – einem aus Bor- und Chloratomen bestehenden Molekülkomplex. Das Besondere daran: Bisher galt die Bindung von Edelgasen mit Anionen als unmöglich, weil diese einen Elektronenüberschuss besitzen.

Schon in der Schule lernen wir, dass Edelgase „bindungsscheu“ sind: Xenon, Helium und Co reagieren freiwillig so gut wie gar nicht mit anderen Elementen. Der Grund dafür ist die mit Elektronen vollbesetzte Außenschale ihrer Atome, durch die die Edelgase bereits einen energetisch optimalen Zustand erreicht haben. Für eine Reaktion sind daher besonders Umstände nötig, beispielsweise ein extrem hoher Druck.

Nach geltender Lehrmeinung jedoch reagieren Edelgase auch dann nicht mit jedem: Möglich ist eine solche Bindung nur mit positiv geladenen Partnern. Ihr Elektronenmangel entreißt dann dem Edelgas ein paar Außenelektronen. Doch Verbindungen mit negativen Partnern, die selbst einen Elektronenüberschuss haben, sind nach gängiger Auffassung unmöglich.

„Unmögliche“ Reaktion mit einem Anion

Doch genau diese „unmögliche“ Bindung haben nun Markus Rohdenburg von der Universität Bremen und seine Kollegen beobachtet. In ihrem Experiment reagierten die Edelgase Xenon und Krypton spontan und bei Raumtemperatur mit einem negativ geladenen Molekül, einer Verbindung aus zwölf Bor- und elf Chloratomen (B12Cl11). Doch dieses Anion besitzt einen Elektronenüberschuss – und dürfte daher nicht an die Edelgase binden.

„Chemikern sind nur eine Handvoll reaktiver Spezies bekannt, welche eine chemische Bindung zu den Edelgasen bei Raumtemperatur eingehen“, sagt Koautor Knut Asmis von der Universität Leipzig. „Dass auch ausgesprochen elektronenreiche Moleküle dazu gehören, ist neu, völlig unerwartet und erzwingt einen Paradigmenwechsel.“

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Lokaler Elektronenmangel

Wie aber ist diese chemische Reaktion möglich? „Um dieses chemische Rätsel zu lösen, das völlig unserer Intuition widersprach, waren umfangreiche theoretische Untersuchungen mit modernsten computergestützten Methoden erforderlich“, sagt Rohdenburg. Zusätzlich analysierten die Forscher die Ladungsverteilung und Struktur des Bor-Clusters mithilfe der Spektroskopie.

Es zeigte sich: Das Bor-Chlor-Molekül ist in seiner Gesamtheit zwar elektronenreich, besitzt jedoch lokal eine ausgeprägt elektronenarme Bindungsstelle. „Genau an dieser Stelle wird die chemische Bindung mit dem Edelgasatom ausgebildet“, so Asmis. Physikalisch gesehen ist der Bor-Cluster demnach zwar ein Anion, er geht jedoch mit den Edelgasen Bindungen ein, die sonst für stark elektrophile Kationen typisch sind. Die Chemiker haben dieses neue Reaktionskonzept und seinen Hauptakteur etwas sperrig „Dipol-diskriminierende elektrophile Anionen“ getauft.

„Ein echter Durchbruch“

Damit haben Rohdenburg und seine Kollegen eine ganz neue Art der Reaktion für Edelgase entdeckt – ein Erfolg, der sie auf das Titelblatt des Fachjournals brachte. Den Editoren der „Angewandten Chemie“ zufolge ist dies ein echter wissenschaftlicher Durchbruch. Denn die neuen Erkenntnisse zeigen, dass allein von der Ladung eines Teilchens nicht unmittelbar auf seine Reaktivität geschlossen werden kann.

Dies ist nicht nur für die chemische Grundlagenforschung interessant. Die Forscher sehen auch konkrete Anwendungen der neuen Verbindungen von der synthetischen Chemie über die Trennungschemie bis hin zur Medizin. (Angewandte Chemie, 2017; doi: 10.1002/ange.201702237)

(Universität Bremen/ Universität Leipzig, 28.06.2017 – NPO)

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