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Geowissen

Ist Parkinson eine Autoimmun-Krankheit?

Forscher weisen Angriffe von Abwehrzellen auf körpereigenes Protein nach

Ist ein fehlgeleiter Angriff des Immunsystems auf die Gehirnzellen mitschuld an Parkinson? © Eraxion/ iStock.com

Angriff aufs eigene Gehirn: Möglicherweise steckt hinter der Parkinson-Krankheit eine Autoimmunreaktion. Denn die Immunzellen betroffener Patienten greifen ein auf den Hirnzellen vorkommendes Protein an, wie nun eine Studie belegt. Diese fehlgeleiteten Angriffe könnten zumindest mitschuld am Niedergang der Hirnzellen bei Parkinson sein, wie die Forscher im Fachmagazin „Nature“ berichten. Sollte sich dies bestätigen, würde dies neue Diagnose- und Therapiewege eröffnen.

Parkinson ist eine der häufigsten neurodegenerativen Erkrankungen – und bisher nicht heilbar. Zwar kann die tiefe Hirnstimulation die Symptome lindern, die fortschreitende Zerstörung der dopaminproduzierenden Hirnzellen kann aber bisher keine Therapie aufhalten.

Ursachen noch immer rätselhaft

Unklar sind bisher auch die Ursachen der Krankheit. Man weiß zwar, dass fehlgefaltete Proteine, sogenannte Alpha-Synucleine, für den Tod der Hirnzellen verantwortlich sind. Erste Wirkstoffe gegen diese Proteinablagerungen sind im Test. Aber warum einige Menschen solche Verklumpungen entwickeln und andere nicht, ist bisher rätselhaft.

Einige Forscher vermuten jedoch, dass eine Autoimmun-Reaktion bei Parkinson eine Rolle spielen könnte. Ähnlich wie bei der Multiplen Sklerose sollen demnach fehlgeleitete Abwehrzellen die eigenen Hirnzellen angreifen. „Die Idee, dass ein falsch funktionierendes Immunsystem zur Parkinson-Krankheit beiträgt, reicht schon fast 100 Jahre zurück“, erklärt Erstautor David Sulzer von der Columbia University in New York. Doch eindeutig belegen ließ sich dies bisher nicht.

Angriff auf körpereigenes Protein

Ob das Immunsystem von Parkinson-Patienten anders reagiert als das gesunder Menschen haben nun Sulzer und seine Kollegen untersucht. Für ihre Studie entnahmen sie 67 Parkinson-Patienten und 36 gesunden Kontrollpersonen Blutproben mitsamt den darin enthaltenen Abwehrzellen. In dieses Blut mischten sie dann Alpha-Synuclein und andere auf den Neuronen der Substantia nigra vorkommende Proteine.

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Die Braunfärbung markiert Ansammlungen von Alpha-Synuclein in der Substantia nigra eines Parkinson-Patienten. © Marvin 101/ CC-by-sa 3.0

Und tatsächlich: Im Blut der Parkinson-Patienten trat eine Immunreaktion auf, bei den Kontrollpersonen dagegen nicht. Die T-Zellen im Patientenblut griffen das zugesetzte Alpha-Synuclein an und setzten Abwehrbotenstoffe frei – obwohl es sich um ein körpereigenes, normalerweise auf den Hirnzellen sitzendes Protein handelt. Passiert eine solche Autoimmunreaktion auch im Gehirn, dann könnte dies zumindest zum Teil den Tod der Neuronen erklären, meinen die Forscher.

Rate ähnlich hoch wie bei MS

Zwar trat diese Autoimmunreaktion nicht bei allen Parkinson-Patienten der Studie auf, aber immerhin bei 40 Prozent. „Damit ist ihr Anteil ähnlich hoch wie bei klassischen Autoimmunerkrankungen wie Diabetes Typ 1, rheumatoider Arthritis oder Multiple Sklerose“, konstatieren Sulzer und seine Kollegen. Bei diesen Krankheiten lasse sich eine eindeutige Immunreaktion in 20 bis 50 Prozent der Fälle provozieren.

Nach Ansicht der Forscher spricht daher einiges dafür, dass Parkinson zumindest zum Teil eine Autoimmunerkrankung sein könnte. Und es könnte erklären, welche Rolle die genetische Veranlagung spielt. Denn nähere Analysen ergaben, dass bestimmte Bauvarianten des Alpha-Synucleins die Autoimmunreaktion provozierten – und die Baupläne für die Proteinstruktur sind in den Genen kodiert.

Hoffnung auf bessere Diagnose und Therapie

„Noch muss sich zeigen, ob die Immunreaktion auf das Alpha-Synuclein der Auslöser von Parkinson ist oder ob sie nur zum Niedergang der Neuronen und der Verschlechterung der Parkinson-Symptome beiträgt“, sagt Koautor Alessandro Sette vom La Jolla Institute for Allergy and Immunology.

Doch sollte sich bestätigen, dass Parkinson zumindest teilweise eine Autoimmun-Erkrankung ist, dann eröffnet dies neue Chancen für die Diagnose und Therapie der Krankheit. „Unsere Ergebnisse könnten uns einen dringend benötigten Diagnose-Frühtest für Parkinson liefern“, sagt Sette. „Gleichzeitig bieten sie die Chance, die Toleranz der Immunabwehr für das Alpha-Synuclein mittels Immuntherapie zu erhöhen – das könnte helfen, die Parkinsonsymptome zu lindern oder ihre Verschlimmerung verhindern.“

Sette und seine Kollegen haben bereits begonnen, die Immunreaktion weiterer Parkinson-Patienten zu testen. Zudem arbeiten sie daran, die molekularen Reaktionsschritte zu identifizieren, die zu diesen fehlgeleiteten Angriffen der T-Zellen auf die Neuronen führen. (Nature, 2017; doi: 10.1038/nature22815)

(Columbia University Medical Center, 22.06.2017 – NPO)

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