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Genetik

Wir sind einzigartiger als wir glauben

Variationen im Genom haben einen stärkeren Effekt als bisher angenommen

Die DNA zweier Menschen unterscheidet sich nur minimal - der Einfluss dieser Unterschiede reicht jedoch erstaunlich weit. © iStock.com

Einflussreiche Unterschiede: Dass sich das Erbgut von Mensch zu Mensch unterscheidet, ist nichts Neues. Eine Studie zeigt nun jedoch: Der Einfluss dieser genetischen Variationen scheint weitaus stärker zu sein als bisher angenommen. Denn durch sie unterscheiden sich die Proteine zweier Menschen im Mittel um 20.000 Bausteine – und diese Varianten beeinflussen die Funktion dieser Eiweiße erheblich, wie die Simulationen der Forscher offenbaren.

Unsere genetische Betriebsanleitung umfasst drei Milliarden Buchstaben und würde ausgedruckt einige Bücher füllen. Dennoch passt sie bequem in die kleinste Einheit unseres Organismus: in unsere Zellen. Dort dient die DNA als Bauplan, nach dem Aminosäuren zu Proteinen zusammengesetzt werden – biologische Moleküle, die im menschlichen Körper für Stoffwechsel, Wachstum und Regeneration sorgen. Ohne sie würde keine einzige unserer Zellen funktionieren.

Zu 99 Prozent ist dieser Bauplan bei allen Menschen gleich. Es sind nur einige wenige Variationen, die den Unterschied machen. Sie entscheiden zum Beispiel darüber, ob wir Mann oder Frau sind, welche Persönlichkeitsmerkmale uns auszeichnen oder wie anfällig wir für bestimmte körperliche und psychische Erkrankungen sind. Doch der Einfluss dieser genetischen Unterschiede scheint noch weit über das bislang Bekannte hinauszugehen, wie eine Studie nun zeigt.

Varianten mit Einfluss?

Für ihre Untersuchung haben Burkhard Rost von der Technischen Universität München und seine Kollegen das Blut von 60.000 Menschen untersucht. Dabei stellten sie überraschenderweise fest, dass sich die Proteine zwischen gesunden Individuen stärker unterscheiden als gedacht. Demnach variieren bei zwei nicht miteinander verwandten Menschen im Mittel 20.000 Aminosäure-Bausteine. Im Englischen werden diese Varianten single amino acid variants, kurz SAVs, genannt.

„Bisher glauben viele Experten, dass die meisten dieser Varianten nichts Wesentliches in der Funktion der Proteine verändern „, berichtet Rost. Aber stimmt das auch? Um die Effekte der SAVs vorherzusagen, simulierten die Forscher den Einfluss dieser Varianten am Computer. Denn experimentelle Daten gibt es für nicht einmal 0,01 Prozent der SAVs.

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Das Computerprogramm des Teams konnte anhand dieser Daten jedoch den Effekt für die 99,99 Prozent aller Varianten vorhersagen, über die nichts bekannt ist. „Neben statistischen Methoden setzten wir dafür künstliche Intelligenz ein, insbesondere maschinelles Lernen und neuronale Netze“, sagt Rosts Kollege Yannick Mahlich.

Erstaunlich starker Effekt

Das Ergebnis erstaunte die Wissenschaftler: Für Millionen der SAVs in den Proteinen gesunder Menschen sagten die Modellberechnungen starke Effekte vorher. Variationen im Aufbau der Proteine, die häufiger, also in über fünf Prozent der Bevölkerung auftreten, haben demnach außerdem einen größeren Effekt auf die Funktion der Zelle als seltene Variationen, die in weniger als einem Prozent der Bevölkerung beobachtet werden können.

Wie genau diese Effekte aussehen, können die Forscher an den Ergebnissen allerdings nicht ablesen. Die Variationen könnten zum Beispiel beeinflussen, wie gut wir riechen können, einen veränderten Stoffwechsel verursachen oder zu einer Immunität gegenüber Erregern führen. Auch könnten sie bestimmen, wie ein Individuum auf Umwelteinflüsse oder Medikamente reagiert.

Impuls für personalisierte Medizin

„Wahrscheinlich ist keiner dieser Effekte für uns im Alltag erkennbar“, meint Rost. „Manche könnten aber unter bestimmten Bedingungen relevant werden, zum Beispiel dann, wenn wir zum ersten Mal ein bestimmtes Medikament einnehmen oder einem bestimmten Einfluss ausgesetzt sind.Die Erforschung des Einflusses der Variationen im Proteinaufbau und ihrer Funktion hat gerade erst begonnen.“.

Die neuen Erkenntnisse seien ein wichtiger Impuls für eine neue, personalisierte Medizin: „Es ist heute bereits möglich, aus der DNA auf die Funktion einzelner Proteine zu schließen. In Zukunft wird man aus diesen Informationen auch ableiten können, welche Ernährung und welche medizinischen Wirkstoffe für den Einzelnen die besten sind.“ (Scientific Reports, 2017; doi: 10.1038/s41598-017-01054-2)

(Technische Universität München, 19.06.2017 – DAL)

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