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Istanbul: Gefahr von Südosten

Epizentrum des nächsten großen Erdbebens liegt im östlichen Marmarameer

Istanbul und die Nordanatolische Verwerfung, rot: das Cinarcik-Segment im Marmara-Meer © Mike Norton / CC-by-sa 3.0

Bebengefahr eingeengt: Das große Erdbeben vor den Toren Istanbuls ist überfällig – und sein Epizentrum wird wahrscheinlich direkt südöstlich der Stadt liegen. Darauf deutet eine neue Auswertung von Erdbebendaten hin. Für die Millionenmetropole ist dies gut und schlecht zugleich. Denn ein Großteil der Erschütterungen wird wahrscheinlich nach Osten abgeleitet, dafür aber bleibt kaum Vorwarnzeit, wie die Forscher im „Geophysical Journal International“ berichten.

Istanbul sitzt auf einer seismischen Zeitbombe: Nur rund 20 Kilometer südlich der Millionenstadt verläuft ein Arm der Nordananatolischen Verwerfung, einer aktiven tektonischen Störung. In den letzten Jahrzehnten gab es dort mehrfach starke Erdbeben, deren Epizentren immer weiter Richtung Westen wanderten. Seismologen prognostizieren, dass das nächste Erdbeben der Stärke 7 und höher im Marmarameer erfolgen könnte – nur wenige Kilometer von Istanbul entfernt.

Doch wo genau wird sich dieses Beben ereignen? Für die Stadt ist diese Frage entscheidend, denn sie bestimmt, wie viel Vorwarnzeit sie hat und wie stark die Erschütterungen sein werden. Um das zu klären, haben Marco Bohnhoff vom Deutschen GeoForschungsZentrum (GFZ) in Potsdam und seine Kollegen Daten der beiden großen türkischen Erdbeben-Messnetze und Messdaten aus dem GFZ-Plattenrandobservatorium ausgewertet.

Epizentrum im östlichen Marmarameer

Das Ergebnis: Am wahrscheinlichsten ist es, dass das nächste große Erdbeben im östlichen Teil des Marmarameers auftreten wird. Denn dort hat es in der Vergangenheit kaum Untergrundbewegungen gegeben. Dies deutet darauf hin, dass die Erdplatten in diesem Teil der Verwerfung komplett ineinander verhakt sind – und dass die Spannung im Untergrund besonders hoch ist, wie die Forscher erklären.

Im westlichen Marmarameer dagegen gab es wiederholt schwache Erdstöße. „Daraus leiten wir ab, dass die beiden Platten dort zu einem beträchtlichen Teil – 25 bis 75 Prozent – aneinander vorbeikriechen, also weniger Energie akkumulieren, als wenn sie komplett verhakt wären“, erläutert Bohnhoff.

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Im Westen des Marmarameers markieren wiederholte Beben (Sterne) ein langsames Bewegen der Platten, im Osten dagegen sind die Platten komplett verhakt (blauer Kasten) © Christopher Wollin/ GFZ

Gut und schlecht für Istanbul

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Was aber wären die Folgen eines Bebens im Ost-Marmarameer für Istanbul? „Das bedeutet eine gute und eine schlechte Nachricht für die Millionenstadt“, sagt Bohnhoff. Die Gute: „Die Bruchausbreitung wird dann in östlicher Richtung verlaufen, also weg von Istanbul.“ Dadurch könnte es in der Metropole zu weniger starken Erschütterungen kommen als befürchtet.

„Die schlechte Nachricht ist, dass es nur eine kurze Frühwarnzeit von wenigen Sekunden Dauer geben wird“, sagt der Forscher. Frühwarnzeiten sind wichtig, um etwa Ampeln auf Rot zu schalten, Tunnels und Brücken zu sperren oder kritische Infrastruktur abzuschalten.

Glück im Unglück?

Und was wäre, wenn es doch unterhalb des westlichen Marmarameeres zu dem befürchteten starken Beben käme? „Auch da gäbe es eine gute und eine schlechte Nachricht“, sagt Bohnhoff. Gut wäre eine etwas längere Frühwarnzeit, schlecht wäre der Umstand, dass die Bruchausbreitung dann in Richtung Istanbul erfolgen würde und es dort zu schwereren Erschütterungen kommen würde als wenn der Bruchbeginn weiter östlich läge. Die derzeitige Datenlage jedoch lässt das Gegenteil vermuten: Die Forscher rechnen eher mit einem Beben vor den Toren der Stadt, das den Menschen zwar nur wenig Zeit lässt, sich zu schützen, das dafür aber weniger starke Bodenbewegungen auslöst. (Geophysical Journal International, 2017; doi: 10.1093/gji/ggx169)

(Helmholtz-Zentrum Potsdam – Deutsches GeoForschungsZentrum GFZ, 17.05.2017 – NPO)

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