Anzeige
Neurobiologie

Ehrlicher durch Hirnstimulation?

Elektrische Reizung eines Hirnareals senkt die Schummelneigung beim Würfelspiel

Ob wir bei einem Würfelpsiel um Geld schummeln, lässt sich manipulieren - mit transkranieller Hirnstimulation. © pirod4d/ pixabay

Verblüffend manipulierbar: Ob wir beim Würfelspielen schummeln oder nicht, lässt sich schon durch leichte Stromreize auf das Gehirn beeinflussen, wie ein Experiment enthüllt. Die transkranielle Stimulation eines bestimmten Hirnareals brachte Probanden dazu, deutlich ehrlicher zu spielen als sonst. Wie die Forscher erklären, beeinflusst die Stimulation offenbar ganz spezifisch die Entscheidung im Konflikt zwischen Ehrlichkeit und Eigennutz.

Schummeln und Lügen gelten als unmoralisch und nicht sonderlich sozial – eigentlich. Trotzdem aber hat fast jeder von uns schon einmal gelogen. Wie groß die Neigung zur Unehrlichkeit ist, hängt dabei nicht nur von Persönlichkeit und den Umständen ab, auch das Geschlecht, der Beruf und sogar die Tageszeit spielen dafür eine Rolle. Studien zeigen zudem, dass wiederholtes Lügen und Schummeln tatsächlich eine Art Abstumpfungs-Effekt bewirkt.

„Die Ehrlichkeit spielt eine Schlüsselrolle in sozialen und wirtschaftlichen Interaktionen und ist für das Funktionieren unserer Gesellschaften entscheidend“, erklären Michel André Maréchal von der Universität Zürich und seine Kollegen. „Doch über die neurobiologischen Prozesse, mit denen Menschen den Konflikt zwischen Ehrlichkeit und Eigennutz lösen, ist bisher kaum etwas bekannt.“

Würfeln mit Elektrodenkappe

Um hier mehr Klarheit zu schaffen, wollten die Forscher wissen, ob sich die Ehrlichkeit von Probanden durch eine transkranielle Gleichstromstimulation (tDCS) manipulieren lässt. Bei dieser Form der Stimulation wird über am Kopf anliegende Elektroden schwacher elektrischer Strom durch den Schädelknochen ins Gehirn geschickt.

Im Experiment konnten die 300 Probanden Geld gewinnen, wenn sie in zehn Würfen möglichst oft eine vorher festgelegte Zahl würfelten. Das Ergebnis jedes Wurfes trugen die Teilnehmer selbst in ein Computerformular ein. Ob sie schummelten oder nicht, blieb dabei vermeintlich unbeobachtet.

Anzeige

Während des Versuchs trugen alle Probanden eine Elektrodenkappe. Nur bei rund einem Drittel wurde jedoch gezielt der hintere Teil des rechten präfrontalen Cortex mit Gleichstrom gereizt – der Rest waren Kontrollpersonen. Wer welche Behandlung bekam, wussten weder Teilnehmer noch auswertende Wissenschaftler.

Bei den beiden Kontrollgruppen (Sham, Cathodal) gab es kaum Unterschiede, bei der gezielten Hirnstimulation dagegen sank die Schummelrate signifikant. © Maréchal et al., /PNAS

Stromreiz senkt Schummelneigung

Das überraschende Ergebnis: Die Forscher registrierten deutliche Unterschiede zwischen den Kontrollgruppen und den mit Hirnstimulation behandelten Probanden. Die Kontrollpersonen zeigten die für dieses Spiel typische Schummelneigung: Sie gaben an, in 68 Prozent der Würfe die gewünschte Zahl gewürfelt zu haben. Realistisch und zufällig wären jedoch nur rund 50 Prozent.

Anders jedoch die mittels Stromimpulsen manipulierten Probanden: Die von ihnen angegebene Trefferquote beim Würfeln lag bei 58 Prozent – und damit nur knapp über dem „ehrlichen“ Mittelwert. Auch die in den anderen Gruppen vorkommenden Angaben über sieben, acht oder neun passende Würfe hintereinander gab es in dieser Gruppe kaum, wie die Forscher berichten.

Zwischen Ehrlichkeit und Eigennutz

„Dieses Ergebnis spricht dafür, dass die Hirnstimulation das Schummeln bei den Teilnehmern reduzierte“, sagen Maréchal und seine Kollegen. Die Schummelrate lag immerhin um fast 60 Prozent niedriger als in den Kontrollgruppen. „Die Ehrlichkeit kann demnach durchaus durch nichtinvasive Manipulation gestärkt werden“ , so die Forscher.

Allerdings klappt diese Manipulation nicht immer: Wenn der Gewinn des Würfelns einem anderen zugutekam und nicht dem Probanden selbst, hatte die Stimulation keinen Effekt. Alle schummelten dann gleich viel. „Die Stimulation beeinflusst demnach nicht alle Formen unehrlichen Verhaltens, sondern spezifisch nur die Konflikte zwischen Ehrlichkeit und Eigennutz“, schlussfolgern Maréchal und seine Kollegen.

Wie genau dieser Einfluss im Detail wirkt, ist noch nicht vollständig geklärt. Versuche belegten allerdings, dass die Stimulation nicht die allgemeine moralische Einstellung zur Ehrlichkeit beeinflusst. Auch der Anreiz materiellen Gewinns sinkt durch die Manipulation offenbar nicht.

Entschlossene Schummler sind immun

Und noch etwas zeigte sich: Die Manipulation per Stromreiz funktioniert nur bei Menschen, die nicht schon von vornherein entschlossen sind, den eigenen Gewinn um jeden Preis zu maximieren: Im Experiment lag der Anteil derjenigen, die dreist angaben, in allen zehn Würfen die richtige Zahl gewürfelt zu haben, annähernd stabil bei rund acht Prozent – egal ob ihr Gehirn stimuliert wurde oder nicht.

Der mögliche Grund für die „Immunität“ dieser Teilnehmer: Sie geben der Ehrlichkeit von vornherein keinen so großen Stellenwert, wie eine Befragung ergab. Diese Menschen kommen dadurch gar nicht erst in den Konflikt, an dem die Stimulation offenbar ansetzt. (Proceedings of the National Academy of Science, 2017; doi: 10.1073/pnas.1614912114)

(PNAS, 11.04.2017 – NPO)

Teilen:
Anzeige

In den Schlagzeilen

Diaschauen zum Thema

Dossiers zum Thema

News des Tages

Feldhase

Genom des "Osterhasen" entschlüsselt

Erstes Bild der Magnetfelder ums Schwarze Loch

Ägypten: Wandbilder aus der Totenstadt

Wie das Klima den antarktischen Zirkumpolarstrom beeinflusst

Bücher zum Thema

Im Fokus: Neurowissen - Träumen, Denken, Fühlen - Rätsel Gehirn von Nadja Podbregar und Dieter Lohmann

150 psychologische Aha-Experimente - Beobachtungen zu unserem eigenen Erleben und Verhalten Von Serge Ciccotti

Top-Clicks der Woche