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Neurobiologie

Mitfühlen bei Trickfilmen

Warum wir Comicfiguren lieben, aber schnell wieder vergessen

Egal ob Mensch oder Kunstfigur: Wenn der Charakter Emotionen zeigt, reagiert das Gehirn intensiv auf ihn. © CITEC/Universität Bielefeld

Cartoon-Figuren lösen bei uns vergleichbare Emotionen aus wie echte Menschen. Besonders Gefühlsausdrücke wie Wut und Glück lösen starke Hirnreaktionen aus, wie eine Studie nun bestätigt. Doch es gibt einen Haken: Lange im Gedächtnis bleiben Comicfiguren eher nicht, weil sie von einem Hirnbereich verarbeitet werden, der für Objekte zuständig ist.

Wenn wir ein Foto betrachten, feuern die Neuronen in unserem Gehirn in bestimmten Mustern. Diese Aktivität kann durch EEG-Geräte über Elektroden auf der Kopfhaut gemessen werden. Ist auf dem Foto ein Gesicht abgebildet, lässt sich ein spezieller EEG Ausschlag mit 170 Millisekunden Verzögerung feststellen. Dieses sogenannte N170 Signal gilt als Indikator für das Erkennen von Gesichtern.

Um zu untersuchen, wie wir auf Comic-Figuren reagieren, haben Sebastian Schindler und seine Kollegen der Universität Bielefeld Probanden an ein EEG-Gerät angeschlossen und ihnen nacheinander 18 Bilder von ein- und derselben Person gezeigt: drei echte Fotos, die die Person fröhlich, wütend und mit neutralem Gesichtsausdruck zeigen, sowie fünf Varianten jedes Gesichtsausdruckes, die die Person zunehmend stilisierter als comicartige Kunstfigur zeigen . Dabei wurde jedes Bild für 600 Millisekunden eingeblendet und die ausgelösten Gehirnaktivitäten aufgezeichnet.

Stärkste Reaktion auf die Extreme

Die Ergebnisse belegen, dass unser Gehirn beim Betrachten von comic-haften Figuren ähnlich reagiert wie bei Fotos von echten Menschen. „Die Versuchspersonen reagieren sehr intensiv auf die Extreme – auf die echten Fotos und auf die Bilder, die am stärksten wie eine Cartoon-Figur aussehen“, berichtet Psychologin Johanna Kißler. Erkennbar war dies vor allem an den N170-Signalen, die bei den extrem comicartigen und bei den realistischen Bildern besonders stark ausfielen, wie die Wissenschaftler feststellten.

Unabhängig vom Stilisierungsgrad der Darstellung lösten die emotionalen Gesichtsausdrücke Wut und Fröhlichkeit stärkere Reaktionen aus als der neutrale Gesichtsausdruck. „Das könnte ein Grund sein, warum Menschen gerne Comicfilme schauen. Sie fiebern mit den Charakteren mit und spüren die gleichen Emotionen wie bei echten Menschen in Spielfilmen“, so die Forscherin.

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Im „Uncanny Valley“

Und noch etwas zeigte sich im Experiment: Bei den Übergangsbildern zwischen realistischer und comichafter Darstellung waren die Reaktionen im Gehirn der Probanden weniger intensiv als bei den beiden Extremen. Dieses Phänomen ist unter Experten als Uncanny-Valley-Hypothese bekannt. Demnach sind wir eher bereit, sehr abstrakte Versionen einer menschlichen Figur wie Smileys oder Trickfiguren zu akzeptieren, als extrem detailreiche, aber nicht völlig lebensechte Imitationen des menschlichen Äußeren.

Der Grund: Wir merken unwillkürlich kleinste Abweichungen vom echten Aussehen und diese Fast-Realität erzeugt ein spontanes Unwohlsein. Als Folge nehmen wir die Figur als unangenehm künstlich und unwirklich wahr. „Bei Comicfiguren fällt dieser Effekt weg, weil gar nicht erst versucht wird, echte Personen vorzutäuschen“, sagt Kißler.

Menschen können kurzfristig emotionale Beziehungen zu Comicfiguren empfinden, wie Johanna Kißler und ihre Kollegen in einer Studie belegen. © CITEC/Universität Bielefeld

Unterschiedliche Wahrnehmung

Trotz der ähnlich intensiven Hirnreaktionen auf realistische und extrem comichafte Bilder fanden die Forscher einen entscheidenden Unterschied: die aktiven Hirnbereiche bei der Wahrnehmung. „Die echten Fotos werden in einem Areal des visuellen Cortex verarbeitet, das für die Wahrnehmung von Menschen zuständig ist. Es erzeugt eine mentale Verbindung zu ihnen und speichert ihre Gesichter im Langzeitgedächtnis“, berichtet Kißler.

„Auf die sehr künstlichen Bilder reagiert ein Bereich, der für die Wahrnehmung von Objekten zuständig ist. Mit solchen Objekten stellt das Gehirn aber keine Identifikation her, und das Gehirn speichert sie nicht langfristig.“ Dies könnte erklären, warum uns Cartoons nur sehr kurzweilig beschäftigen und wir die Abenteuer von Trickfiguren schneller vergessen als die Schicksale von Filmcharakteren, die durch menschliche Schauspieler verkörpert werden, so die Forscher.

Hilfe für Roboter-Design

Die Ergebnisse der Studie könnten beim gezielten Design von künstlichen Charakteren, sogenannten Avataren, und von Robotern helfen. „Figuren mit comicartigem, stereotypem Aussehen eignen sich demnach vor allem, wenn es um kurzfristige Interaktionen mit Menschen geht, wenn zum Beispiel ein Roboter Besucher in einem Restaurant zum Tisch führt. Wenn eine persönliche Beziehung erforderlich ist, ist ein menschenartiger Charakter geeigneter“, sagt Mario Bosch, der die Studie mitgeleitet hat. (Scientific Reports, 2017; doi: 10.1038/srep45003)

(Universität Bielefeld, 27.03.2017 – CLU)

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