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Archäologie

Hunnen: Gezähmte Krieger

Im spätantiken Grenzgebiet herrschte Kooperation statt Kampf

Die Hunnen werden von spätantiken Geschichtsschreibern als kriegerische Barbaren beschrieben – doch das stimmt nur zum Teil. Hier eine Nachbildung von Attila dem Hunnenkönig. © A.Berger/ CC-by-sa 3.0

Von wegen marodierende Barbaren: Die vor rund 1.500 Jahren nach Europa drängenden Hunnen waren längst nicht alle kriegerisch. Stattdessen herrschte vor allem im römischen Grenzgebiet an der Donau eine weitgehend friedliche Koexistenz. Lokale Bauern und eingewanderte Reiternomaden glichen sich dort in Lebensweise und Ernährung stark aneinander an, wie Untersuchungen von Gräbern und Toten aus dieser Zeit belegen.

Reiternomaden aus Zentralasien haben für die Geschichte Europas immer wieder eine prägende Rolle gespielt. So stieß der Einstrom der bronzezeitlichen Jamnaja entscheidende kulturelle Entwicklungen an und sogar die indoeuropäische Sprache könnte ihre Wurzeln in Zentralasien haben. Vor rund 1.500 Jahren dann lösten die Reiternomaden die nächste große Umwälzung aus: die Völkerwanderung.

Konfliktgebiet an der Donau?

Unter Attila eroberten die Hunnen weite Teile des Balkans und ließen sich teilweise im Donaugebiet nieder. Von dort fielen sie immer wieder in die weströmischen Provinzen ein. „Diese Angriffe galten als Auslöser für eine Destabilisierung, die letztlich zum Zusammenbruch des weströmischen Reiches führte“, erklären Susanne Hakenbeck von der University of Cambridge und ihre Kollegen.

Doch die von der römischen Elite dominierte Geschichtsschreibung gibt nur wenig Aufschluss darüber, was damals tatsächlich im Grenzgebiet entlang der Donau passierte. Um mehr über das Zusammenleben von Hunnen und lokaler Bevölkerung herauszufinden, haben Hakenbeck und ihre Kollegen nun Grabbeigaben und menschliche Überreste aus fünf spätantiken Gräberfeldern im heutigen Ungarn untersucht.

Für ihre Studie entnahmen sie Proben mehrerer Zähne und Knochen. Durch Isotopenanalysen dieses Materials gewannen sie einen Einblick in die Herkunft, Lebensweise und Ernährung der Toten. „

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Ausdehnung des Hunnenreichs im fünften Jahrhundert – die Donau bildete die Grenze zum römischen Reich. © Slovenski Volk/ CC-by-sa 3.0

Keine Hinweise auf Konflikte

Das überraschende Ergebnis: Das Leben im spätantiken Grenzgebiet war offenbar weit harmonischer als gedacht. „Es gibt keinerlei Hinweise auf große soziale Störungen oder wirtschaftliche Not“, berichten Hakenbeck und ihre Kollegen. Auch Indizien für Konflikte zwischen den Volksgruppen fehlten.

Obwohl einige Tote eindeutig nicht lokaler Herkunft und damit wahrscheinlich Hunnen waren, waren ihre Gräber weder anders ausgestattet noch von den anderen isoliert. In vielen Gräbern fanden die Forscher zudem Grabbeigaben aus beiden Kulturkreisen, was ebenfalls auf eine kulturelle Vermischung schließen lässt. Sogar die Sitte der Schädeldeformation übernahmen einige Bauern offenbar von ihren hunnischen Nachbarn, wie die Grabfunde belegen.

Kulturelle Vermischung

„Diese Belege sprechen dafür, dass die aus Zentralasien neuankommenden Gruppen oder Individuen keine Außenseiter waren, sondern Teil des gemischten Umfelds im spätantiken Pannonien“, sagen die Wissenschaftler.

Für eine solche Integration spricht auch die Ernährung der Grenzbewohner: Sie war eine Mischung aus der fleischlastigen Kost der Hunnen und der von Getreide- und Gemüse dominierten Kost der lokalen Bauern, wie die Isotopenanalysen belegen. Einige der Toten hatten sogar im Laufe ihrer Lebenszeit ihre Ernährung umgestellt.

Die lokalen Bauern übernahme sogar teilweise die Sitte, die Schädel der Kinder nach Hunnen-Art zu deformieren. © Susanne Hakenbeck

Kooperation statt Kampf der Kulturen

Nach Ansicht der Archäologen spricht dies dafür, dass sich an der Donau die Lebens- und Ernährungsgewohnheiten von Bauern und Nomaden angeglichen hatten. „Nomadische Viehzüchter wurden zu Bauern und Bauern wurden zu Viehzüchtern“, so Hakenbeck und ihre Kollegen. So begannen die Hunnen, mehr Getreide und Gemüse anzubauen. Dafür züchteten die Bauern mehr Vieh.

Statt sich zu bekämpfen, arrangierten sich die Bewohner des Grenzgebiets demnach eher pragmatisch mit ihren neuen Nachbarn und schauten sich vieles voneinander ab. „Statt eines Kampfs der Kulturen könnte der fließende Übergang zwischen den Lebensweisen für diese Menschen eine Überlebensstrategie in diesen instabilen Zeiten gewesen sein“, mutmaßen die Forscher. (PloS ONE, 2017; doi: 10.1371/journal.pone.0173079)

(PLOS ONE, 23.03.2017 – NPO)

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