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Medizintechnik

Hirnschrittmacher gegen Depression

Langzeitbehandlung verspricht dauerhafte Verbesserung

Die Forscher stimulierten mit Elektroden eine Region im Gehirn, die an der Wahrnehmung von Freude beteiligt ist. Dadurch wurde die Depression bei sieben der acht behandelten Patienten gelindert. © Universitätsklinikum Freiburg

Neue Lebensqualität dank „Hirnschrittmacher“: Schwere Depressionen ließen sich in einer Studie für vier Jahre massiv lindern oder gänzlich aufheben – ohne starke Nebenwirkungen. Dies gelang durch Einsetzen von Elektroden ins Gehirn, die gezielt Hirnbereiche stimulieren. Wenn weitere Studien diese Ergebnise bestätigen, könnte die Tiefe Hirnstimulation künftig den Betroffenen neue Lebensqualität geben, bei denen herkömmliche Behandlungen versagen.

Bei Parkinson -Leiden ist die tiefe Hirnstimulation bereits eine anerkannte Behandlungsmethode. Dies wollen Forscher der Bonner Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie um Studienleiter Thomas Schläpfer auch für den Einsatz gegen schwere Depressionen erreichen. Schon 2007 belegten sie in einer Pilotstudie die positive Kurzzeit-Wirkung auf depressive Probanden. Nun liegen erst Ergebnisse einer vierjährigen Langzeitstudie vor, die den Erfolg der Methode weiter untermauern.

Eigentlich austherapiert

Für ihre Untersuchung implantierten die Forscher acht Probanden Elektroden jeweils in die Hirnareale, die an der Wahrnehmung von Freude und damit auch an Motivation und Lebensqualität beteiligt sind. Die Therapie bestand aus der gezielten kontinuierlichen Stimulation dieser Areale, die über leichte elektrische Impulse an den Elektroden erzeugt wurde. Zur Auswertung stuften die Forscher den Zustand der Studienteilnehmer monatlich anhand von Fragebögen über ein Punktesystem ein, dem Montgomery-Åsberg-Depressions-Skala (MADRS).

Diese Skala reicht von Null bis 60, wobei man nach Angaben der Forscher ab zehn Punkten eine depressive Störung diagnostizieren würde. Die Probanden begannen die Studie mit einem durchschnittlichen MADRS-Wert von 30 Punkten. Sie litten seit drei bis elf Jahren unter schwersten Depressionen und waren nach herkömmlichen Methoden austherapiert.

Sieben von acht

Doch die neue Behandlungsmethode über tiefe Hirnstimulation war bemerkenswert effektiv: Schon im ersten Monat fiel der MADRS-Wert im Durchschnitt von 30 auf 12 Punkte ab, wie die Forscher berichten. Insgesamt hatten sieben der acht Teilnehmer dank der Stimulation eine deutliche Linderung der Symptome. Den Schwellenwert von zehn Punkten, ab dem eine Depression diagnostiziert wird, unterschritten am Ende des Beobachtungszeitraumes sogar vier Probanden. Damit wurde eine 50 prozentige Heilung der Patienten erzielt.

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„Einzigartig ist, dass der größte Teil der Patienten auch dauerhaft auf die Therapie anspricht,“ betont Schläpfer das herausragende Studienergebnis. „Andere Therapieformen verlieren oft im Laufe der Zeit ihre Wirksamkeit. Damit ist die Tiefe Hirnstimulation ein vielversprechender Ansatz für Menschen mit bisher nicht behandelbarer Depression.“

Wenig Nebenwirkungen

Manche der Patienten hatten zwar kurzzeitig über verschwommenes Sehen oder Doppelbilder geklagt, „die Nebeneffekte konnten wir aber durch eine verminderte Stimulationsstärke beheben, ohne dass der antidepressive Effekt der Therapie nachgelassen hätte,“ berichtet Volker Coenen vom Universitätsklinikum Freiburg. Es sei ein unschätzbarer Vorteil, dass bei dieser Therapieform keine Anzeichen für Persönlichkeitsveränderungen, Denkstörungen oder andere Nebenwirkungen zu beobachten waren.

Die Forscher haben bereits eine größere Folgestudie mit 50 Probanden über fünf Jahre begonnen. Sollte sie die Ergebnisse bestätigen, hoffen Coenen und seine Kollegen auf eine europäische Registrierung des Therapieverfahrens. Sie würde den Einsatz der Therapie auch außerhalb von Studien erlauben.

„Für Patienten mit schwerster Depression könnte eine solche tiefe Hirnstimulation in einigen Jahren eine wirksame Behandlungsoption sein“, hofft der Wissenschaftler. Nichtsdestotrotz birgt die Therapie durch den operativen Eingriff ins Gehirn ein Risiko, das für jeden Patienten individuell gegen den möglichen Nutzen abgewogen werden muss. (Brain Stimulation, 2017; doi: 10.1016/j.brs.2017.01.581)

(Universitätsklinikum Freiburg, 21.03.2017 – CLU)

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