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Paläontologie

Unser ältester Ururahn war ein Winzling

540 Millionen Jahre altes Mikrofossil aus China ist Vorfahre aller Deuterostomen

So könnte der Ur-Deuterostome Saccorhytus coronarius zu Lebzeiten ausgesehen haben. © S Conway Morris / Jian Han

Urahn einer gewaltigen Sippe: In China haben Paläontologen den möglicherweise ältesten Vorfahren aller Deuterostomen entdeckt, der großen Tiergruppe, zu der alle Wirbeltiere, Manteltiere und Stachelhäuter gehören. Das winzige Wesen besitzt einen sackartigen Körper und einen auffallend großen, dehnbaren Mund, aber keinen Anus. Es lebte wahrscheinlich zwischen Sandkörnern am Meeresgrund, wie die Forscher im Fachmagazin „Nature“ berichten.

Ob Wirbeltiere, Seeigel oder Manteltiere: So unterschiedlich diese Tiergruppen auch sind, sie alle gehören zu den Deuterostoma – dem Überstamm im Tierreich, der letztlich auch uns Menschen hervorbrachte. Allen Deuterostomen ist gemeinsam, dass ihr Rückenmark an der Körperrückseite liegt und dass ihr Mund sich im Embryo aus einer anderen Zellregion bildet als beispielsweise bei den Arthropoden.

„Winzige schwarze Körner“

Wie aber der erste Vertreter der Deuterostomen aussah und wann er lebte, blieb bisher unklar. Zwar gibt es bereits Funde früher Vertreter dieser Tiergruppe, darunter ein 505 Millionen Jahre altes wurmähnliches Wesen. Doch die Vielfalt der fossilen Deuterostomen aus dieser Zeit spricht dafür, dass der Urahn unseres Stammes noch älter sein muss.

Jetzt jedoch könnten Jian Han von der Nordwest Universität in Xi’an und seine Kollegen den lange gesuchten Urahn aller Deuterostomen entdeckt haben. Fündig wurden sie in einer rund 540 Millionen Jahre alten Gesteinsformation in der Shaanxi-Provinz in China. „Mit bloßem Auge glichen die Fossilien winzigen schwarzen Körnern, aber unter dem Mikroskop wird ein atemberaubender Detailreichtum sichtbar“, berichtet Koautor Simon Morris von der University of Cambridge.

Dehnbarer, großer Mund

Untersuchungen per Mikro-Computertomografie enthüllten ein nur rund einen Millimeter großes Wesen mit einem auffallend großen Mund und einem sackartigen Körper. Die Mundöffnung ist von einem doppelten Ring aus gefalteter Haut umgeben. Am Innenring sind kleine Vorsprünge erkennbar, die dem Wesen möglicherweise als Sensoren dienten, wie die Forscher berichten.

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„Die Hautfalten ermöglichten es ihm offensichtlich, seine Mundregion auszudehnen“, so Han und seine Kollegen. Das nach seinem sackartigen Körper Saccorhytus coronarius getaufte Wesen könnte mit seinem großen Mund Wasser verschluckt, aber auch größere Futterbrocken oder lebende Beute verschlungen haben.

Die Struktur der Körperhülle deutet darauf hin, dass Saccorhytus schon einfache Muskeln besaß und sich durch zappelnde Bewegungen fortbewegte. Wahrscheinlich lebte der Winzling zwischen Sandkörnern auf dem Grund des Urzeitmeeres.

Kein Anus, aber Prä-Kiemen

Seltsam jedoch: Saccorhytus besaß offenbar keinen Anus. Es konnte daher Nahrungsreste und Kot nicht über eine spezielle Ausscheidungsöffnung wieder loswerden. „Sollte sich dies bestätigen, dann müsste Saccorhytus alle Abfallstoffe wieder über den Mund ausgeschieden haben – was aus unserer Perspektive wenig appetitlich erscheint“, sagt Morris.

Dafür aber trug das seltsame Urzeitwesen hinter dem Mundbereich acht kegelförmige Vorsprünge auf seiner Körperoberfläche. Diese seepockenartigen, symmetrisch auf beide Körperseiten verteilten Strukturen könnten nach Ansicht der Paläontologen eine Art Ausatemorgan darstellen – frühe Vorläufer der Kiemen. Möglicherweise dienten sie Saccorhytus dazu, das geschluckte Wasser und vielleicht auch darin gelöste Abfallstoffe wieder auszustoßen.

Unser ferner Vorfahre

„Als früher Vertreter der Deuterostomen könnte dieses Wesen die primitiven Anfänge der umfangreichen Tiergruppe repräsentieren, zu der auch wir gehören“, sagt Morris. „Alle Deuterostomen besaßen einen gemeinsamen Vorfahren – und wir glauben, dass wir ihn hiermit gefunden haben.“

Sollte sich dies bestätigen, dann wäre der sackartige Winzling Saccorhytus unser ferner Vorfahre und der erste Schritt auf dem langen Weg der Evolution, der letztlich zum Homo sapiens führte. (Nature, 2017; doi: 10.1038/nature21072)

(University of Cambridge, 31.01.2017 – NPO)

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