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Materialforschung

Muskeln aus Textilgewebe

Motoren in Gewebeform könnten künftig neuartige Exoskelette ermöglichen

Ganz normales Textgewebe wird durch Beschichtung mit einem Polymer zu einem künstlichen Muskel © Thor Balkhed/ Linköping University

Stoff als Muskel: Forscher haben normales Textilgewebe in elektrisch angetriebene Muskelfasern umgewandelt. Möglich wurde dies durch die Beschichtung des Garns mit einem Spezialpolymer, das unter Strom seine Form verändert. Je nach Webart zieht sich dadurch das Gewebe unter Strom zusammen oder dehnt sich aus. Aus solchen textilen Aktuatoren könnten künftig ganz neue Exoskelette beispielsweise für Gelähmte entstehen, so die Forscher im Fachmagazin „Science Advances“.

„Technologische Fortschritte in der Mikroelektronik, der künstlichen Intelligenz und der Materialforschung haben zu ganz neuen Entwicklungen bei Prothesen, Exoskeletten und Robotern geführt“, erklären Ali Maziz von der Universität Linköping und seine Kollegen. So haben robotische Exoskelette sogar Gelähmten wieder zum Laufen verholfen. Doch diese Hilfsmittel haben einen großen Nachtteil: Sie sind steif und klobig.

Dünn und flexibel statt klobig

Das Ziel von Maziz und seinen Kollegen ist es dagegen, Exoskelette zu entwickeln, die wie Kleidung flexibel sind, eng am Körper anliegen und dadurch alten Menschen oder Gelähmten unauffällig Bewegungshilfe leisten können. Dafür allerdings werden künstliche Muskeln benötigt, die nicht von metallenen Elektromotoren oder pneumatisch angetrieben werden, sondern die aus Gewebe bestehen.

Ein solches künstliches Muskelgewebe haben die Forscher nun auf überraschend einfache Weise hergestellt. „Indem wir eine der ältesten Technologien der Menschheit, die Textilverarbeitung durch Weben oder Stricken – mit modernen Materialien wie elektroaktiven Polymeren verbinden, erzeugen wir eine ganz neue Art von textilen Aktuatoren“, erklären die Wissenschaftler.

Beschichtung macht Garn zum Muskel

Ausgangspunkt für ihre textilen Kunstmuskeln waren ganz normale Zellulosefasern, wie sie als Lyocell schon in vielen Synthetikstoffen eingesetzt werden. Dieses Garn beschichteten die Wissenschaftler mit dem leitfähigen Polymer Polypyrrol (PPy). Dieses hat eine Besonderheit: Wird es einer geringen Stromspannung ausgesetzt, verändert es reversibel sein Volumen.

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In der Zukunft könnten solche Textilmuskeln als Exoskelett beispielsweise Armbewegungen unterstützen © Thor Balkhed/Linköping University

Die mit diesem Polymer beschichteten Textilfasern verändern dadurch ihre Dicke und Länge – ähnlich wie es unsere Muskelfasern tun. Wird das Polymergarn nun durch Weben oder Stricken zu einem Gewebe verknüpft, sieht das Ganze aus wie ein ganz normales Stück Stoff oder Strick. Doch legt man eine Spannung an, kann dieses Gewebe sich zusammenziehen, dehnen oder biegen wie ein Muskel.

Hebekran mit Textilmuskel

Im Experiment kombinierten die Forscher einen wenige Zentimeter langen Streifen eines Textilmuskels mit einem aus LEGO gebauten Hebekran. Der untere Teil des Gewebes wurde durch eine elektrochemische Zelle unter Spannung gesetzt. Als Folge hob sich der von diesem Kunstmuskel bewegte Minikran mitsamt einem kleinen Gewicht in die Höhe. Die ausgeübte Kraft entsprach dabei 125 Millinewton.

Wie stark die ausgeübte Kraft des Gewebes ist, hängt dabei von seiner Struktur ab: „Wenn wir das Garn weben, steigt die nach außen wirkende Kraft linear mit der Zahl der parallelen Fasern“, erklärt Koautor Nils-Krister Persson von der Universität Boras. Wird das Garn dagegen gestrickt und damit zu einem von Schlaufen durchzogenen Gewebe kombiniert, steigt seine Dehnbarkeit um das mehr als 50-Fache. Angesichts der Vielfalt der möglichen Textilstrukturen kann die Funktion so maßgeschneidert angepasst werden.

„Diese Ergebnisse demonstrieren die Vorteile einer solchen Textiltechnologie“, konstatieren Maziz und seine Kollegen. Wie sie erklären, könnten Weiterentwicklungen ihrer Textilmuskeln eines Tages in Kleidung integriert werden und so Körperbehinderten oder Gelähmten als Exoskelette und Bewegungshilfen dienen. Auch die Integration von Sensoren in solche Gewebe sei denkbar, so die Forscher. (Science Advances, 2017; doi: 10.1126/sciadv.1600327)

(Linköping University, 26.01.2017 – NPO)

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