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Medizin

Feinstaub weckt schlafende Viren

Belastung mit Nanopartikeln kann Herpes-Erreger in der Lunge reaktivieren

Autoabgase setzen verschwindend kleine Partikel frei - und diese können Viren in der Lunge reaktivieren. © Yocamon/ iStock.com

Wecker für Viren: Feinstaub kann in der Lunge schlafende Herpesviren aktivieren. Darauf deuten nun Experimente mit Mäusen und menschlichen Zellen hin. Demnach wird eine latente Infektion durch eine entsprechende Belastung mit Nanopartikeln wieder akut. Offenbar verändert das Einatmen der kleinen Staubteilchen das Immunsystem so, dass für ruhende Viren optimale Bedingungen herrschen. Die Folge: Sie werden aktiv und vermehren sich.

Luftschadstoffe gehören zu den größten Umweltrisiken für unsere Gesundheit. Insbesondere der sogenannte Feinstaub ist heute in fast jeder Großstadt allgegenwärtig. Gerade diese verschwindend kleinen Partikel aus Verkehrsabgasen, Schiffschornsteinen oder anderen Verbrennungsprozessen sind jedoch gefährlich: Unter anderem können sie tief in die Lunge eindringen und dort Krebs, Fibrosen und die Lungenkrankheit COPD verursachen.

Verändertes Immunsystem

Doch nicht nur das: Offenbar ist der Feinstaub zudem dazu in der Lage, schlafende Viren in unseren Atemwegen zu wecken – Erreger, die sich vor dem Immunsystem versteckt halten und auf den richtigen Moment warten, um wieder aktiv zu werden. „Wir wussten bereits, dass das Einatmen von Nanopartikeln eine entzündliche Wirkung hat und das Immunsystem verändert“, sagt Tobias Stöger vom Helmholtz Zentrum München. Er und seine Kollegen wollten deshalb wissen: Könnten die Staubteilchen unser Abwehrsystem so beeinflussen, dass es für Viren weniger gefährlich erscheint?

Die Wissenschaftler testeten ihre Theorie mit einem für Nager spezifischen Herpesvirus an tierischen Lungengewebszellen sowie an Mäusen. Dafür ahmten sie eine latente Infektion nach, bei der der Erreger zwar im Körper nachweisbar ist, aber nicht aktiv ist und daher auch keine Symptome verursacht. Anschließend setzten sie ihren Versuchsobjekten Partikeln aus, wie sie typischerweise bei der Verbrennung von fossilen Energieträgern entstehen.

Nanopartikel aus Verbrennungsmotoren © Helmholtz Zentrum München

Erfolgreich reaktiviert

Diese Feinstaubbelastung zeigte Wirkung: Drei Tage nach dem ersten Kontakt konnten die Forscher bereits einen deutlichen Anstieg viraler Proteine nachweisen – Proteine, die nur bei aktiver Virusvermehrung produziert werden. „Auch Stoffwechsel- und Genexpressionsanalysen ergaben Muster wie bei einer akuten Infektion“, berichtet Stögers Kollege Philippe Schmitt-Kopplin.

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Bei weiteren Experimenten zeigte sich, dass sich menschliche Herpesviren vergleichbar verhalten: Das Epstein-Barr-Virus, das Pfeiffersches Drüsenfieber und Krebs auslösen kann, wurde beim Versuch mit menschlichen Zellen ebenfalls durch den Feinstaub-Kontakt geweckt. Für das Team ist damit klar: Die Nanopartikel scheinen das Immunsystem so zu verändern, dass sich Viren wieder sicher fühlen. Als Folge werden sie aktiv, vermehren sich und zerstören schließlich die Wirtszelle.

Langfristige Veränderungen?

Weitere Studien müssen nun überprüfen, ob sich die Erkenntnisse auch jenseits des Zellmodells auf den Menschen übertragen lassen. „Viele Menschen tragen Herpesviren in sich und Patienten mit Lungenfibrose sind dabei besonders betroffen“, sagt Heiko Adler. „Wenn sich die Ergebnisse bestätigen, wäre es wichtig, den molekularen Ablauf der Reaktivierung durch Partikelinhalation zu ergründen. Dann könnte man versuchen, diesen Wirkungsweg auch therapeutisch zu beeinflussen.“

Außerdem wollen die Forscher künftig untersuchen, wie sich eine wiederholte Feinstaubexposition mit entsprechender Virusaktivierung langfristig auswirkt. Womöglich, so ihr Verdacht, könnte es dadurch zu chronischen Entzündungs- und Umbauprozessen in der Lunge kommen. (Particle and Fibre Toxicology, 2016; doi: 10.1186/s12989-016-0181-1)

(Helmholtz Zentrum München, 17.01.2017 – DAL)

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