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Archäologie

Archäologen entdecken älteste Seidenreste

Reste von Seidenproteinen und Nähutensilien in 8.500 Jahre alten Gräbern nachgewiesen

Seide besteht aus dem Gespinst der Seidenspinner-Raupen. Wann der Mensch begann, diese Fasern für Textilien zu nutzen, war bisher unbekannt. © Urmen19/CC-by-sa 4.0

Überraschender Fund: In China haben Archäologen die ältesten Belege für die Herstellung und Nutzung von Seide entdeckt. In zwei Gräbern aus der Jungsteinzeit wiesen sie Reste von Seidenproteinen nach, außerdem wurden knöcherne Nähnadeln und einfache Webutensilien gefunden. Schon vor rund 8.500 Jahren beherrschten die Menschen dort demnach die Kulturtechnik der Seidenherstellung, so die Forscher im Fachmagazin „PloS ONE“.

Wenn es um die Kleidung von Steinzeitmenschen geht, fallen den meisten Menschen als erstes Tierfelle und Leder ein – durchaus zu recht. Denn schon vor rund 70.000 Jahre könnten Neandertaler sich mit Fellen vor der Kälte geschützt haben. Gewebte Textilien aus Wolle oder Pflanzenfasern folgten dagegen deutlich später: Die ältsten Belege für Flachsfasern und Kleidung aus Flachs stammen aus der Zeit vor rund 34.000 Jahren.

Wann unsere Vorfahren jedoch entdeckten, dass man auch aus den Gespinsten der Seidenraupe Stoffe herstellen kann, blieb bisher ungeklärt. Denn Seide ist zu fragil und leicht zersetzbar, um die Jahrtausende zu überdauern. Es fehlt daher an fossilen Belegen. Wegen der aufwändigen Herstellung von Seidentextilien verband man diese Kulturtechnik jedoch bisher nicht mit Menschen der frühen Jungsteinzeit.

Fund in jungsteinzeitlicher Siedlung

Ein neuer Fund in einer Ausgrabungsstätte in der chinesischen Provinz Henan belehrt Archäologen nun jedoch eines Besseren. Die Ruinen der prähistorischen Siedlung Jianhu gelten als eines der wichtigsten Zeugnisse jungsteinzeitlicher Kultur in China. Hier wurde unter anderem eine steinzeitliche Knochenflöte entdeckt, aber auch Reste der frühesten bekannten fermentierten Getränke und möglicherweise sogar die ältesten chinesischen Piktogramme.

Diese beiden vor 8.500 Jahren begrabenen Toten trugen möglicherweise ein Seidenhemd oder waren mit Seidenstoff bedeckt. © Gong et al./ PLOS ONE, doi:10.1371/journal.pone.0168042.g001

Für ihre Studie hatten Yuxuan Gong von der Universität von Hefei und seine Kollegen Proben aus drei jungsteinzeitlichen Gräbern in Jianhu untersucht. Bei den Erdproben aus dem Hüftbereich der Toten suchten sie gezielt nach Fibroin, einem in Seide enthaltenen Protein. Im Gegensatz zu den meisten anderen Seidenbestandteilen ist dieses Protein relativ stabil und kann daher auch Jahrtausende im Erdreich überdauern.

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Seidenreste in Frauengräbern

Und tatsächlich: In zwei der drei Gräber wiesen die Forscher chemische Relikte des Seidenproteins Fibroin nach. Die Peptide fanden sich im Hüftbereich der Toten – der Region, in der am ehesten Relikte des Totenhemds oder anderer Kleidung erhalten bleiben. In diesen und anderen Gräbern entdeckten die Wissenschaftler zudem knöcherne Nähnadeln und einfache Webutensilien.

Auffallend auch: In den beiden Gräbern mit Resten von Seidenproteinen wurden vor rund 8.500 Jahren Frauen bestattet. Das dritte Grab enthielt dagegen die Überreste eines männlichen Toten – und keine Seidenproteine.

Ältester Nachweis von Seide überhaupt

„Der Nachweis von Seidenprotein-Relikten in diesen Gräbern ist unseres Wissens nach bisher älteste bekannte Beleg für Seide“, sagen Gong und seine Kollegen. „Die Funde zeigen, dass schon vor rund 8.500 Jahren Seide hergestellt und verwendet wurde.“ Die Nähnadeln und Webwerkzeuge sprechen zudem dafür, dass die jungsteinzeitlichen Bewohner von Jianhu die Seidenfasern bereits zu Stoffen gewebt haben.

Wie verbreitet Seidenstoffe damals waren und ob diese aufwändig hergestellte Kleidung möglicherweise nur für bestimmte Zwecke oder Personen reserviert war, ist bisher unklar. Zumindest eine der beiden Toten war angesichts ihrer eher spärliche Grabbeigaben zu Lebzeiten eher arm, wie die Archäologen berichten. Dennoch wurde sie nach ihrem Tode offenbar in Seide gehüllt.

Offen bleibt auch, ob männliche Tote damals generell keine Seidenkleidung oder Seidendecke bekamen oder ob das negative Ergebnis beim männlichen Grab eher Zufall ist. Wie die Archäologen erklären, könnte das etwas flachere Grab dieses Mannes auch dazu geführt haben, dass die Seidenproteine stärker zersetzt wurden und daher keine Relikte davon mehr erhalten blieben. (PloS ONE, 2016; doi: 10.1371/journal.pone.0168042)

(PLOS ONE, 03.01.2017 – NPO)

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