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Neurobiologie

Zwischenablage im Gehirn spart Zeit

Dank Vorrat an DNA-Kopien lernen wir schneller

Sich immer wieder flexibel an Veränderungen anpassen zu können, ist eine der beeindruckendsten Leistungen unseres Gehirns. © Lagereek/ iStock.com

Schlau vorgearbeitet: Um schneller auf neue Reize reagieren zu können, legen Neuronen einen Vorrat an DNA-Kopien in ihrem Zellkern an. Damit nehmen sie einen langwierigen Schritt des Anpassungsprozesses vorweg. Denn die bevorrateten Moleküle müssen bei Bedarf nur noch geringfügig modifiziert werden, bevor sie den Bauplan für neue Proteine bilden. Die Folge: Bis eine Nervenzelle im Gehirn mit einer neuen Funktion aufwarten kann, vergehen nur wenige Minuten – anstatt mehrere Stunden.

Die Welt um uns herum ist komplex und verändert sich fortwährend – ständig sind wir mit Neuem konfrontiert. Eine der faszinierendsten Leistungen unseres Gehirns ist es, dieses Chaos zu ordnen und sich immer wieder auf Veränderungen einzustellen. Nur weil sich einzelne Nervenzellen, Synapsen und ganze Hirnareale flexibel anpassen können, sind wir lernfähig.

Doch warum sind die Nervenzellen des Gehirns überhaupt dazu in der Lage, sich bei Lernprozessen so rasch zu verändern? Das war Wissenschaftlern bislang ein Rätsel. Denn damit ein Neuron eine neue Funktion erwerben kann, müssen die dafür wichtigen Proteine zunächst durch einen ausgefeilten Kopiervorgang hergestellt werden. Dabei entsteht aus den Basisinformationen der DNA die sogenannte RNA. Diese Moleküle werden anschließend so modifiziert, dass daraus ein präziser Bauplan für die Produktion eines bestimmten Proteins entsteht – ein langwieriger Prozess.

RNA-Moleküle im Vorrat

Bis es durch einen neuronalen Reiz zur Neuproduktionen von Proteinen kommt, müssten demnach eigentlich mehrere Stunden vergehen. In der Realität verändern sich Neurone aber oft viel schneller. Wissenschaftler um Oriane Mauger von der Universität Basel haben nun das Geheimnis hinter der verblüffend raschen Anpassung gelüftet.

Aus dem RNA-Vorrat können schnell Moleküle mobilisiert und einsatzfähig gemacht werden. © Universität Basel

Das Team stellte fest, dass die Nervenzellen im Gehirn mit einem Trick arbeiten, um Zeit zu sparen: Sie produzieren bestimmte RNA-Moleküle einfach vor und beginnen sogar schon, diese teilweise zu zerschneiden. Die halbfertigen Moleküle landen dann im Zellkern und warten in einer Art Zwischenablage darauf, dass sie tatsächlich gebraucht werden.

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Fünf Minuten statt zwanzig Stunden

„Das Kopieren der DNA, der sogenannte Transkriptionsprozess, wird von den Nervenzellen also bereits im Vorfeld erledigt“, sagt Mauger. Trifft ein neuronaler Reiz auf die Nervenzelle, müssen die abgelegten RNA-Moleküle nur noch fertig gestellt werden. Das bedeutet eine immense Zeitersparnis. Denn die Transkription ist der mit Abstand zeitaufwendigste Schritt bei der Produktion neuer Proteine.

Für große Gene würde der Prozess vom Signal bis zur Fertigstellung eines Proteins normalerweise zehn bis zwanzig Stunden in Anspruch nehmen. „Dadurch, dass die RNA-Moleküle bereits in einer Rohform vorliegen, die nur noch vervollständigt werden muss, verkürzt sich das Ganze auf fünf Minuten“, erläutert Mauger.

„Völlig neuer Regulationsmechanismus“

Erst diese Zwischenablage macht es möglich, dass Nervenzellen ihre Funktionen so rasch anpassen können. „Für uns hat diese Studie einen völlig neuen Regulationsmechanismus offenbart“, sagt Mitautor Peter Scheiffele. „Die Ergebnisse liefern uns eine weitere Erklärung dafür, wie Nervenzellen insbesondere schnelle plastische Veränderungen steuern können.“ (Neuron, 2016; doi: 10.1016/j.neuron.2016.11.032)

(Universität Basel, 22.12.2016 – DAL)

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