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Biologie

Mäuse können Sauerstoff erschnüffeln

Nager riechen Sauerstoff-Gehalt der Luft mit spezialisierten Zellen der Nasenschleimhaut

Feines Näschen: Diese Maus kann riechen, wenn zu wenig Sauerstoff in der Luft ist. © iStock.com

Sensible Supernasen: Im Gegensatz zu uns Menschen können Mäuse sogar Sauerstoff riechen. Denn zwei spezielle Rezeptoren in ihrer Riechschleimhaut reagieren sofort, wenn sich der Sauerstoffgehalt der Luft verändert und beispielsweise absinkt. Wahrscheinlich haben die Nager diesen „Sauerstoff-Sinn“ entwickelt, um sich in ihren Höhlen vor einem schädlichen Mangel am Atemgas zu schützen, mutmaßen die Forscher im Fachmagazin „Neuron“.

Mäuse haben ein ausgesprochen feines Näschen: Mehr als tausend olfaktorische Rezeptorgene sorgen in ihrem Erbgut dafür, dass die Tiere die unzähligen Gerüche in ihrer Umwelt riechen können. Auch bei der Partnerwahl spielt das „Parfum“ der Mäusemännchen eine wichtige Rolle. Jetzt jedoch zeigt sich, dass die Mäuse sogar einen Stoff riechen können, der lebensnotwendig, aber für uns geruchlich neutral ist: den Sauerstoff.

Mysteriöse Typ-B-Zellen

Entdeckt wurde die ungewöhnlichen Riechfähigkeit der Mäuse, als Katherin Bleymehl von der Universität des Saarlandes und ihre Kollegen die geheimnisvollen Typ-B-Zellen untersuchten. Diese Zellen in der Riechschleimhaut schienen bisher auf keine Duftstoffe zu reagieren und trugen auch keine bekannten Riechrezeptoren auf ihrer Oberfläche. Ihre Funktion blieb daher rätselhaft, wie die Forscher erklären.

Für ihre Studie setzten die Forscher Zellen der Riechschleimhaut von Mäusen unterschiedlichen Sauerstoffgehalten aus. Ein kalziumsensitiver Farbstoff zeigte dabei an, ob und welche Zellen aktiv wurden. Das überraschende Ergebnis: Die mysteriösen Typ-B-Zellen reagierten schon bei einer leichten Erniedrigung der Sauerstoffkonzentration in der Atmosphäre und begannen verstärkt zu feuern.

Dreifach ungewöhnlich

„Damit haben wir eine neue und unerwartete Rolle des Geruchssinns der Mäuse aufgedeckt: Es dient ihnen als Sensor für niedrige Sauerstoffwerte in der Umgebungsluft“, berichten Bleymehl und ihre Kollegen. Ungewöhnlich ist dies aus gleich drei Gründen: Zum einen springen Riechsensoren normalerweise an, wenn sich der Wert „ihres“ Duftmoleküls erhöht – es sich verstärkt anlagert. Doch der Sauerstoffsensor reagiert auf zu wenig Atemgas.

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Riechschleimhaut einer Maus unter dem Mikroskop: Die auf Sauerstoffmangel reagierenden Typ-B-Zellen sind grün gefärbt, normale Riechzellen rot. © MPI für Neurogenetik

Zum anderen können Säugetiere normalerweise Sauerstoff nicht riechen. Fehlt es uns beispielsweise in der Umgebung an Atemgas, registriert dies ein Sensor in unseren Halsschlagadern: Er schlägt Alarm, wenn zu wenig Sauerstoff im Blut ist. Einen Sensor jedoch, der den Sauerstoffwert direkt an der Einatemluft misst, fehlt. Die Mäuse aber verfügen über einen solchen Extraschutz.

Und als Drittes registrieren die Mäuse einen Sauerstoffmangel ohne olfaktorisches Rezeptorgen. Sie besitzen demnach gar keine spezielle Andockstelle für Sauerstoff auf der Riechschleimhaut. Stattdessen scheinen zwei normale Gene für das „Sauerstoff-Näschen“ der Nager entscheidend zu sein: Wurden die Gene Gucy1b2 und Trpc2 bei den Tieren blockiert, reagierte auch ihr Sauerstoff-Alarm nicht mehr. Wie genau der Sensor funktioniert, ist bisher aber noch unbekannt.

Anpassung an unterirdische Lebensweise

Warum aber haben ausgerechnet Mäuse diesen „sechsten“ Sinn für Sauerstoff? Die Antwort darauf liegt wahrscheinlich in ihrer Lebensweise, wie die Forscher erklären. Denn die Nager leben in Erdhöhlen und ziehen dort auch ihre Jungen auf. Dabei bauen sie ihre Nester bevorzugt dort, wo besonders reichlich Sauerstoff vorhanden ist. „Der Nachwuchs braucht genügend Sauerstoff, sonst sind die Jungtiere unterversorgt“, sagt Frank Zufall von der Universität des Saarlandes.

Die Fähigkeit, Orte mit zu wenig Sauerstoff rechtzeitig zu erschnüffeln kann daher verhindern, dass die Nager ihre Nester versehentlich an ungünstigen, schlecht belüfteten Stellen einrichten. Experimente ergaben zudem, dass Mäuse sehr schnell lernen, wo sich Orte mit erniedrigter Sauerstoffkonzentration befinden und es danach vermeiden, sich an diesen Stellen aufzuhalten.

Interessant auch: Wir Menschen besitzen die beiden Sauerstoffsensor-Gene Gucy1b2 und Trpc2 ebenfalls. Bei uns jedoch sind sie nur sogenannte Pseudogene, die nicht abgelesen werden und höchstwahrscheinlich keine Proteine mehr bilden können. Ob auch die Typ-B-Zellen beim Menschen vorkommen und für Sauerstoffunterversorgung empfindlich sind, ist bisher ungeklärt. (Neuron, 2016; doi: 10.1016/j.neuron.2016.11.001)

(Max-Planck-Gesellschaft, 12.12.2016 – NPO)

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