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Technik

Luftfahrt: Streit um den ersten Motorflug

Analysen von Gustav Weißkopfs Flugzeug liefern neue Indizien

Ein Modell des ersten motorisierten Flugapparats von Gustav Weißkopf. Mit einem solchen Gerät soll er 1901 erstmals geflogen sein - zwei Jahre vor den Gebrüdern Wright © Deutsches Museum/ Hochschule Coburg

Verhärtete Fronten: Über den ersten motorisierten Flug der Geschichte wird heftig gestritten. Gelang er dem deutschen Flugpionier Gustav Weißkopf oder doch den Gebrüdern Wright? Jetzt legen Analysen von Weißkopfs Propeller, Motor und Flügelkonstruktionen nahe, dass sein erstes Flugzeug nicht genug Schub hatte, um abzuheben. Haben zeitgenössische Presseberichte gelogen? Der Streit um den Erstflug spaltet die Luftfahrt-Historiker.

Mit Otto Lilienthals ersten Gleitflügen eroberte der Mensch zum ersten Mal den Luftraum. Wenig später schon regten Lilienthals Erfolge auch andere Flugpioniere dazu an, Flugmaschinen zu entwickeln. Es entspann sich beiderseits des Atlantiks ein Wettlauf um den ersten motorisierten Flug.

Gebrüder Wright: Fotos vom Erstflug

In den USA entwickelten die Brüder Wilbur und Orville Wright ein propellergetriebenes Doppeldecker-Flugzeug, mit dem Orville Wright am 17. Dezember 1903 um 10:35 Uhr zum ersten Mal abhob und zwölf Sekunden lang flog. Dieser durch Augenzeugen und Fotografien belegte Flug in Kitty Hawk, North Carolina, gilt seither als der erste erfolgreiche Motorflug der Geschichte – meist jedenfalls.

Doch es gibt Luftfahrt-Historiker, die anderer Ansicht sind. Denn etwa um die gleiche Zeit wie die Gebrüder Wright arbeitete auch der in die USA ausgewanderte deutsche Ingenieur Gustav Weißkopf an einem Motorflugzeug. Er soll bereits am 14. August 1901 den ersten Motorflug absolviert haben – und damit zwei Jahre vor Orville Wright. Sein Fluggerät ähnelte stärker dem Gleiter von Lilienthal, wurde aber von zwei Propellern angetrieben.

Foto des Erstflugs von Orville Wright am 17. Dezember 1903 am Strand von Kitty Hawk. © US Library of Congress

Weißkopf: Zeitungsberichte als Belege

Als Beleg für Weißkopfs Erstflug gab es lange Zeit nur einen Bericht in einer zeitgenössischen Lokalzeitung, außerdem die Aussagen von Zeugen – die allerdings erst 30 Jahre später befragt wurden. Deshalb wurde Weißkopfs Erstflug von vielen Experten bezweifelt. Hinzu kommt, dass der Flugpionier im Gegensatz zu den Gebrüdern Wright seine Fluggeräte und Experimente kaum dokumentiert hat und widersprüchliche Angaben über seine Erfolge machte.

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2014 jedoch entdeckte der Luftfahrt-Historiker John Brown vom Smithsonian National Air and Space Museum zwei weitere zeitgenössische Artikel aus einer zweiten Lokalzeitung. Seine Angaben nach sollen bis Ende 1901 weltweit mindestens 274 Zeitungsberichte über Weißkopfs ersten Motorflug erschienen sein. Einen Fotobeweis gibt es aber dennoch nicht.

Im Jahr 1998 schaffte es ein Nachbau von Weißkopfs Fluggerät zwar abzuheben, aber dieser vermeintliche Beweis hat einen Haken: Weil es kaum Angaben zu Weißkopfs Motor gibt, war dieser Nachbau mit einem modernen Motor und einem anderen Propeller ausgestattet. Nach Ansicht von Luftfahrt-Experten sagt er daher nur wenig darüber aus, ob Weißkopfs erster Motorflieger im Jahr 1901 wirklich geflogen sein kann.

Numerische Strömungssimulation des Propellers von Gustav Weißkopfs erstem Fluggerät © Hochschule Coburg

Schub und Propeller im Test

Seither sind die Fronten im Streit um den ersten Motorflug verhärtet- und spalten sogar die Experten des National Air and Space Museum in Washington. Um mehr Licht in die Sache zu bringen, haben nun Experten des Deutschen Museums und der Hochschule Coburg die Technik von Weißkopfs Fluggerät noch einmal genau überprüft.

Auf Basis der Angaben aus den Presseberichten von 1901 und einer originalgetreuen Nachbildung eines Propellers von Weißkopfs Flugzeug berechneten Philipp Epple und Peter Hanickel die Antriebsleistung von Motor und Propeller. Daraus ermittelten sie, ob bei der angegebenen Propellerdrehzahl von 650 bis 750 Umdrehungen pro Minute der notwendige Schub für den Abflug erreicht worden sein kann.

„Nicht flugtauglich“

Das Ergebnis: Weißkopfs Propeller hätte nicht genügend Schub erzeugen können, um das Fluggerät abheben zu lassen. “ Die Zahlen sind physikalisch nicht haltbar“, berichtet Epple. Dies bestätigte auch eine numerische Strömungssimulation. Sie ergab ebenfalls, dass Weißkopfs Konstruktion mit diesem Propeller nicht flugtauglich gewesen sein kann.

Die Untersuchung der Aerodynamik lieferte ein ähnliches Ergebnis. Die Flügel von Weißkopfs Flugzeug orientierten sich an dem Gleitflieger von Otto Lilienthal. Im Gegensatz zu diesem verzichtete Weißkopf aber darauf, die Flügel mit Querstreben zu verstärken. Als Folge müssen sich die Flügel beim Start zusammengefaltet haben und die Aerodynamik verschlechterte sich, wie die Experten berichten.

Zumindest aus technischer Sicht spricht daher einiges gegen einen ersten Motorflug durch Gustav Weißkopf. Ob er es irgendwie trotzdem geschafft haben könnte und wie die damaligen Presseberichte zustande kamen, bleibt weiterhin offen. Seine Leistung als Flugpionier bleibt aber unbestritten. „Zum Fortschritt der Luftfahrt hat er viel beigetragen“, sagt Epple.

(Hochschule Coburg, 05.12.2016 – NPO)

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