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Sonnensystem

Ist Pluto umgekippt?

Merkmale der Eisebene Sputnik Planitia sprechen für eine Polwanderung

Die Eisebene Sputnik PLanum in PLutos hellem "Herz" könnte einst viel weiter nordwestlich gelegenn haben. © NASA/JHUAPL/SwRI

Verrutschter Zwergplanet: Pluto hatte früher vielleicht eine ganz andere Ausrichtung als heute. Denn er könnte im Laufe seiner Geschichte um bis zu 60 Grad gekippt sein. Erst so gelangte die herzförmige Eisebene des Zwergplaneten an ihre heutige Position. Szenarien für diese Polwanderung präsentieren zwei Forschergruppen im Fachmagazin „Nature“. Demnach sorgte entweder eine erhöhte Eislast oder aber der subglaziale Ozean für eine Unwucht, die den Zwergplaneten kippen ließ.

Pluto steckt voller Überraschungen. Wie die Aufnahmen und Daten der New Horizons-Raumsonde enthüllten, besitzt der Zwergplanet eine erstaunlich dynamische Oberfläche: Es gibt fließende Gletscher, in der Eisebene Sputnik Planitia – dem hell gefärbten „Herz“ des Pluto – befördern Konvektionsströme ständig wärmere Eismassen an die Oberfläche und wahrscheinlich gibt es sogar aktive Eisvulkane.

Genau am Gegenpol

Jetzt haben zwei Forschergruppen Überraschendes über die Vergangenheit des Zwergplaneten aufgedeckt. Ausgangspunkt für ihre Entdeckung war das eisige „Herz“ des Pluto – Sputnik Planitia. Diese rund tausend Kilometer große Eisebene liegt gut drei Kilometer unter dem Niveau der umgebenden Oberfläche. In Form und Größe ähnelt sie den großen Einschlagsbecken auf Mars oder Merkur. Vermutlich entstand auch Sputnik Planitia einst durch einen Impakt.

Das Seltsame aber ist die Position dieses gigantischen Beckens: Es liegt nicht nur nahe am Äquator, sondern auch fast genau an dem Punkt, der am weitesten vom Plutomond Charon abgewendet ist – quasi seinem Gegenpol. Die Geologen bezeichnen dies auch als Ausrichtung an der Gezeitenachse des Zwergplaneten.

Hat Pluto eine Polwanderung hinter sich

„Wir haben uns gefragt: Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass das bloßer Zufall ist?“, erklärt Koautor Richard Binzel vom Massachusetts Institute of Technology (MIT). Typischerweise richten sich Himmelskörper im Laufe der Zeit so aus, dass sie bei ihrer Drehbewegung und in der Interaktion mit nahen Nachbarn gut ausbalanciert sind und es möglichst keine Unwucht gibt.

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Erst Einschlag, dann Polwanderung? Pluto könnte durch eine Unwucht gekippt sein. © James T. Keane

Beim Mars beispielsweise führte das enorme Gewicht der Tharsis-Vulkane zu einer Verschiebung der Kruste um 20 bis 25 Gad, wie Forscher kürzlich herausfanden. Auch bei anderen Planeten landen solche Massen-Ansammlungen häufig am Äquator. Könnte auch bei Pluto die Lage des Sputnik Planitia auf eine solche Polwanderung zurückgehen?

Wo steckt die zusätzliche Masse?

„Die Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Eisebene nur zufällig genau gegenüber von Charon liegt, liegt bei weniger als fünf Prozent“, berichtet Binzel. Doch wenn eine Polwanderung dahintersteckt, dann müsste Sputnik Planitia schwerer sein als seine Umgebung und der Rest der Plutokruste. Denn nur dann hätte das Gewicht dieser Region den Zwergplaneten in seine jetzige Position kippen können.

Aber Sputnik Planitia ist eine Senke – kein Vulkan oder Gebirge, unter denen die Kruste von Natur aus dicker ist. Stattdessen muss der Einschlag, durch den das Becken entstanden ist, die Plutokruste sogar erheblich ausgedünnt haben. Woher also kommt die überschüssige Masse? Sowohl Binzel und sein Team als auch James Keane von der University of Arizona und seine Kollegen haben diese Frage nun untersucht.

Stickstoffeis als Zusatzgewicht

Das Ergebnis: Schwerefeld-Daten von New Horizons zeigen, dass Sputnik Planitia tatsächlich eine positive Massenbilanz aufweist – das Gebiet ist schwerer als seine Umgebung. Modellrechnungen und Simulationen von Keane und seinen Kollegen ergaben, dass das über der Kruste liegende Stickstoffeis diese zusätzliche Masse erklären könnte.

„Jedes Mal, wenn Pluto die Sonne umkreist, lagert sich ein wenig mehr Stickstoffeis in seinem Herz ab“, erklärt Keane. Dieses Eis ist relativ schwer. „Wenn sich dort genügend Eis angesammelt hat, vielleicht so etwa hundert Meter dick, dann beginnt sein Gewicht, das Verhalten des Zwergplaneten zu beeinflussen.“ Dabei spielen auch die Gezeitenkräfte des nahen Mondes Charon eine wichtige Rolle.

Pluto könnte wegen eines Massenüberschusses in Sputnik PLanum um bis zu 60 Grad gekippt sein © James Keane, NASA/JHUAPL/SwRI

Um 60 Grad gekippt

Im Laufe von Millionen von Jahren führte das Eisgewicht in Sputnik Planitia dann dazu, dass sich die Plutokruste im Verhältnis zu seinen Achsen verschob – er erlebte eine Polwanderung. Nach und nach rückte die ursprünglich im Nordwesten liegende Eisebene immer näher an den Äquator und an den Gegenpol zu Charon heran. „In Bezug auf die Rotations- und Gezeitenachse könnte dies zu einer Neuorientierung des Pluto um 60 Grad geführt haben“, sagen Keane und seine Kollegen.

Dieses starke Kippen könnte nach Ansicht der Forscher auch erklären, warum es auf Pluto so viele Risse und Verwerfungen gibt: Die Neuorientierung setze die Plutokruste unter Spannung und ließ sie aufreißen. In einer Simulation erzeugte die Polwanderung des Zwergplaneten ein ähnliches Verwerfungsmuster, wie es heute auf dem Pluto zu sehen ist.

Oder war doch der subglaziale Ozean schuld?

Ein zweites Forscherteam um Binzel und Francis Nimmo von der University of California Santa Cruz hat ebenfalls die Polwanderung und mögliche Ursachen dafür untersucht. Als Hauptgrund sehen sie aber nicht das Stickstoffeis, sondern einen Ozean aus halbgetautem Eis unter Plutos Oberfläche. Indizien dafür, dass ein solcher subglazialer Ozean existieren könnte, entdeckten Forscher vor wenigen Monaten.

Dem Modell von Nimmo und Kollegen zufolge führte der urzeitliche Einschlag in Sputnik Planitia dazu, dass halbgeschmolzenes Eis aus dem subglazialen Ozean im Kater in die Höhe schwappte. Die ausgedünnte Kruste hob sich und der Ozean wurde an dieser Stelle dicker als sonst. Weil Wasser dichter ist als Wassereis, entstand an dieser Stelle ein Massenüberschuss, wie die Forscher erklären. Das sich später ablagernde Stickstoff-Eis trug dann noch zusätzlich dazu bei – wenn auch in geringerem Maße als es Keane und Co ermittelten.

Welches der beiden Szenarien zutrifft, bleibt bislang offen. Einig sind sich beide Forschergruppen aber darin, dass der Pluto einst eine Polwanderung erlebt haben könnte. Ob dafür allein die Eislast in Sputnik Planitia oder doch auch der subglaziale Ozean verantwortlich waren, müssen nun weitere Daten von New Horizons oder aber künftige Raummissionen klären. (Nature, 2016; doi: 10.1038/nature20120; doi: 10.1038/nature20148)

(Nature, Massachusetts Institute of Technology, University of Arizona, 17.11.2016 – NPO)

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