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Medizin

Schleichende Hirnschäden durch Toxoplasmose?

Latente Infektion beeinträchtigt das Arbeitsgedächtnis bei älteren Menschen

Der Erreger Toxoplasma gondii ist mit dem Marlaria-Erreger verwandt. Jeder zweite Mensch in Deutschland ist wahrscheinlich mit ihm infiziert. Hier vier mit Fluoreszenmarker angefärbte Toxoplasmen. © Ke Hu, John M. Murray/ PloS Pathogens/ CC-by-sa 4.0

Von wegen folgenlos: Eine Infektion mit Toxoplasmose hat möglicherweise Spätfolgen für das Gehirn, wie eine Studie nahelegt. Bei einem Test des Arbeitsgedächtnisses schnitten infizierte Senioren um 35 Prozent schlechter ab als gesunde Altersgenossen. Auch ihre Hirnströme waren verändert. Forscher vermuten, dass eine latente Toxoplasmose vielleicht sogar eine Demenz fördern könnte. In Deutschland ist wahrscheinlich jeder Zweite infiziert ohne es zu bemerken.

Unbemerkt, aber überall: Nach Schätzungen von Experten trägt jeder zweite in Deutschland den Erreger Toxoplasma gondii in seinem Körper – meist ohne etwas davon zu spüren. Die Ansteckung erfolgt meist durch kontaminiertes Wasser, Gemüse oder nicht durchgegartes Fleisch, kann aber auch über Kontakt mit Katzenkot erfolgen. Schon vor einigen Jahren warten Forscher vor der hohen Durchseuchung von Spielplätzen, Parks und Gärten mit Toxoplasmose-Sporen.

Doch nicht so harmlos?

Als gefährlich galt die Toxoplasmose bisher nur für Menschen mit einem geschwächten Immunsystem und für Schwangere und ihre Ungeborenen, denn diese können schwere Fehlbildungen davontragen. Für 90 Prozent der mit Toxoplasmose Angesteckten verläuft die Infektion jedoch folgenlos – so dachte man jedenfalls bisher.

In jüngster Zeit jedoch gab es erste Hinweise darauf, dass selbst vermeintlich symptomlose Toxoplasmose-Infektionen zu Spätfolgen führen können, darunter rheumatoider Arthritis, aber auch mentale Veränderungen. Der Grund: Die Erreger können die Blut-Hirnschranke passieren und sich lebenslang in Nervenzellen einnisten. Bei infizierten Mäusen und Ratten verändert dies sogar ihr Verhalten.

Infizierte Senioren im Test

Ob durch Toxoplasmose tatsächlich kognitive Fähigkeiten beeinträchtigt werden, haben nun Patrick Gajewski vom Leibniz-Institut für Arbeitsforschung an der TU Dortmund und seine Kollegen untersucht. Dafür testeten sie in einer Doppelblindstudie die geistigen Leistungen von zwei Gruppen von über 65-Jährigen, eine Hälfte war latent mit Toxoplasmose infiziert, die andere nicht.

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Alle Probanden absolvierten verschiedene Tests zu Aufmerksamkeit, Kurzzeitgedächtnis, Konzentrationsfähigkeit und Geschwindigkeit der Informationsverarbeitung. So sollten die Teilnehmer unter anderem immer dann klicken, wenn in einer schnellen Abfolge von Buchstaben zwei gleiche hintereinander erschienen.

Im Körper eines menschen oder anderen Zwischenwirts bilden die Toxoplasmen Zysten, wie hier zu sehen. © CDC

Deutliche Defizite

Die Tests ergaben: Die Toxoplasmose-positiven Probanden schnitten im Arbeitsgedächtnis-Test um 35 Prozent schlechter ab als die Nicht-Infizierten. „Der Unterschied in der Arbeitsgedächtnisleistung zwischen Infizierten und Nicht-Infizierten entspricht in etwa der Differenz zwischen gesunden jungen Erwachsenen und Senioren“, sagt Gajewski.

Diese Defizite ließen sich auch durch begleitende Analysen der Hirnströme bestätigen: Bei den mit Toxoplasmose infizierten Senioren war die Amplitude der sogenannten Theta-Wellen im Gehirn verringert, wie die Forscher berichten. Diese Hirnpotenziale sind mit Arbeitsgedächtnisfunktionen wie der Aktualisierung von Gedächtnisinhalten verknüpft.

Beschleunigte Demenz?

Nach Ansicht der Forscher sprechen diese Ergebnisse dafür, dass eine latente Infektion mit Toxoplasma gondii zu Spätfolgen im Gehirn führen kann. Anhand der Symptome vermuten sie, dass die Toxoplasmose-Infektion den neuronalen Botenstoffhaushalt von Dopamin und Norepinephrin aus dem Gleichgewicht bringt – und so die geistigen Leistungen beeinträchtigen kann. „Angesichts der hohen Rate von Toxoplasmose-Infektionen und einer wachsenden Anzahl ältere Menschen könnte dies erhebliche sozioökonomische Folgen haben“, sagt Gajewski.

Er und seine Kollegen wollen nun in Folgestudien untersuchen, ob es einen Zusammenhang von Toxoplasmose und Demenz gibt. Diese Möglichkeit liegt nahe, weil in beiden Fällen die Gedächtnisfunktion als erstes in Mitleidenschaft gezogen wird. (Biological Psychology, 2016; doi: 10.1016/j.biopsycho.2016.08.002)

(Leibniz-Institut für Arbeitsforschung an der TU Dortmund, 25.10.2016 – NPO)

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