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Astronomie

Kosmologie: Beschleunigte Expansion im Zwielicht

Supernova-Daten sind statistisch weniger eindeutig als bisher angenommen

Die wichtigsten Belege für die beschleunigte Expansion des Kosmos sind Entfernungsmessungen von Supernovae des Typs 1a, hier der Überrest einer solchen Sternexplosion. © NASA/CXC/U.Texas

Einer der Grundpfeiler unseres kosmologischen Standardmodells ist womöglich wackelig. Denn die Supernova-Daten, die auf eine beschleunigte Expansion hindeuten, könnten weniger eindeutig sein als bisher gedacht, wie Physiker im Fachmagazin „Scientific Reports“ berichten. Ihre statistische Überprüfung ergab, dass die Supernova-Daten nur eine Signifikanz von drei Sigma erreichen – und damit eigentlich zu wenig, um in der Physik als eindeutig zu gelten.

Das Universum dehnt sich immer weiter aus – so viel ist klar. Zudem scheint sich diese Expansion im Laufe der Zeit beschleunigt zu haben, wie drei Astronomen in den 1990er Jahren entdeckt hatten. Sie bekamen dafür 2011 den Nobelpreis. Als Triebkraft hinter diesem Phänomen vermutet man heute die rätselhafte Dunkle Energie.

Diskrepanzen beim Tempo der Expansion

Doch wie schnell die kosmische Expansion tatsächlich abläuft, dazu gibt es bis heute widersprüchliche Daten und Ansichten. So ergab eine Messung auf Basis von veränderlichen Sternen und Supernovae im Sommer 2016 einen überraschend hohen Wert für die Hubble-Konstante und damit die Rate der Expansion. Kurz darauf jedoch kam die bisher größte Vermessung von Galaxien-Entfernungen auf eine deutlich geringere Ausdehnungsrate.

Noch einen Schritt weiter gehen nun Subir Sarkar von der University of Oxford und seine Kollegen. Denn wie ihre Analysen enthüllen, steht das Konzept der beschleunigten Expansion des Kosmos möglicherweise auf ziemlich tönernen Füßen. Zumindest statistisch ist der Beleg dafür offenbar weitaus weniger signifikant als ursprünglich angenommen, wie sie berichten.

Supernova-Daten im Statistik-Test

Für ihre Studie haben Sarkar und seine Kollegen die vorhandenen Daten für die beschleunigte Ausdehnung des Universums statistisch überprüft. Sie nutzten dafür einen Katalog von 740 Supernovae des Typs 1a. Diese Sternenexplosionen gelten wegen ihrer festen Helligkeit als besonders gut geeignete „Messlatten“ für kosmische Entfernungen und damit auch die Expansion.

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„Dieser Supernova-Katalog ist zehnmal umfangreicher als die Datenmenge, die bei der Entdeckung der beschleunigten Expansion verwendet wurde“, erläutert Sarkar. Mit Hilfe verschiedener statistischer Methoden ermittelten die Forscher nun, wie eindeutig und damit wie signifikant die Sternexplosionen für eine beschleunigte Ausdehnung sprechen.

Nach gängiger Annahme beschleunigt sich die kosmische Expansion seit rund sechs Milliarden Jahren © NASA

„Bestenfalls drei Sigma“

Das überraschende Ergebnis: Die aus den Sternexplosionen ermittelten Werte sind sehr viel weniger eindeutig als bisher gedacht. „Der Beleg für eine beschleunigte Expansion liegt bestensfalls bei einer Signifikanz von drei Sigma“, berichtet Sarkar. In der Physik jedoch werden nach allgemeiner Übereinkunft mindestens fünf Sigma benötigt, um von einer echten Entdeckung sprechen zu können.

Die Supernova-Daten jedoch erreichen diese Schwelle nach Angaben der Forscher nicht – und könnte daher auch ganz anders interpretiert werden. „Wir stellen fest, dass die Daten auch mit einer konstanten Rate der Expansion ziemlich gut übereinstimmen – überraschenderweise“, berichten die Wissenschaftler. „Unsere Arbeit demonstriert damit, dass einer der Grundpfeiler für das kosmologische Standardmodell ziemlich wackelig ist.“

Und was heißt das jetzt?

Was aber bedeutet dies für unser Bild des Universums? Es bringt vor allem noch mehr Unsicherheiten und Widersprüche, aber wohl keinen Einsturz des gängigen Modells. Denn wie Sarkar und seine Kollegen einräumen, sind Supernovae nicht die einzigen Indizien für eine beschleunigte Expansion. Auch aus der kosmischen Hintergrundstrahlung oder der Verteilung von fernen Galaxien ergeben sich Hinweise auf das Tempo der kosmischen Ausdehnung.

Allerdings: „Diese Tests sind indirekt und werden im Rahmen des bestehenden kosmologischen Modells ausgewertet“, sagt Sarkar. „Es ist daher durchaus möglich, dass wir uns haben irreführen lassen.“ Er und seine Kollegen hoffen, dass ihre Ergebnisse ihre Kollegen dazu anspornen, astronomische Daten besser zu analysieren und möglicherweise nuanciertere kosmologische Modelle zu entwickeln.

Mehr Klarheit im Kuddelmuddel um die Hubble-Konstante und die kosmische Expansion könnte in Zukunft das European Extremely Large Telescope (E-ELT) liefern. Dieses zurzeit im Bau befindliche optische Teleskop soll 2024 in Betrieb genommen werden. „Das Teleskop besitzt einen ultrasensitiven Laserkamm, mit dem es über einen Zeitraum von zehn bis 15 Jahren direkt messen kann, ob sich die Expansion beschleunigt oder nicht“, sagt Sarkar. (Scientific Reports, 2016; doi: 10.1038/srep35596)

(University of Oxford, 25.10.2016 – NPO)

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