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Paläontologie

Riese mit dem Mund eines Peniswurms

Rätselhaftes Fossil entpuppt sich als Vorfahre heutiger Gliederfüßer

So könnte der Ozeanbewohner zu Lebzeiten ausgesehen haben. © Robert Nicholls/ Palaeocreations

Runder Mund mit Zahnkranz: Forscher haben endlich das Rätsel um ein bizarres Fossil aus China gelöst. Das konservierte Mundwerkzeug mit mehreren Ringen aus Zähnen ist demnach mit einem frühen Vorfahren moderner Gliederfüßer verwandt. Das Urtier wurde mindestens einen Meter lang und schwamm vor rund 500 Millionen Jahren durch die Ozeane. Doch schon damals war es nicht das einzige Lebewesen mit einem so seltsam geformten Maul.

Ein bizarr großes Mundwerkzeug mit einem mehrreihigen Ring aus spitzen Zähnen gibt Forschern seit seiner Entdeckung vor einigen Jahren Rätsel auf. Zwar kann das in China gefundene Fossil klar dem Zeitalter des Kambriums vor rund 500 Millionen zugeordnet werden. Doch welches Tier den Zahnring einst zum Fressen nutzte, ist unklar.

Diskutiert wird, ob das Fossil zu einem Vertreter der damals weit verbreiteten Priapswürmer gehört. Bisherige Zahnfunde der marinen Fleischfresser, die wegen ihrer schlauchartigen Körperform auch Peniswürmer genannt werden, sind allerdings viel kleiner als das Mundwerkzeug aus China. Andere Fachleute bringen den Fund deshalb mit den Anomalocariden in Verbindung – einer Gruppe wirbelloser Tiere, die mit einer Länge von bis zu 1,20 Meter zu den größten bekannten Lebewesen aus dieser Zeit gehören.

Rätsel gelöst?

Einigen konnten sich die Experten bislang nicht. Nun aber wollen Wissenschaftler um Jakob Vinther von der University of Bristol das Geheimnis um das zahnreiche Fossil gelöst haben. Auf die Lösung des Rätsels hat die Forscher ein Fund aus Grönland gebracht.

In der dortigen Sirius Passet Lagerstätte entdeckten sie die Überreste von Pambdelurion whittingtoni. Der ausgestorbene Verwandte heutiger Gliederfüßer schwamm vor 520 Millionen Jahren durch die Ozeane – und lebte demnach zur gleichen Zeit wie der Besitzer des rätselhaften Mundes aus China.

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Das Fossil gehört wohl nicht zu einem riesigen Peniswurm - ist aber mit solchen Tieren verwandt. © Jakob Vinther/ Fredrik Pleijel

Identische Münder

Als Vinther und seine Kollegen das Pambdelurion-Fossil untersuchten, zeigte sich: Die Struktur seines Fressapparats gleicht dem aus China erstaunlich stark. „Der Mund ist identisch aufgebaut – und viele Details der Zähne gleichen sich“, schreibt das Team. Auch größentechnisch passen die Funde zusammen: Beide Lebewesen waren ihren Mündern nach zu urteilen mindestens einen Meter lang.

Diese Indizien sind für die Wissenschaftler eindeutig: „Das fossile Mundwerkzeug aus China gehört sehr wahrscheinlich zu einem bisher unbekannten Pambdelurion-ähnlichen Tier – und nicht zu einem riesigen Peniswurm“, schlussfolgern sie.

Vorfahre moderner Arthropoden

Völlig falsch seien die früheren Vermutungen über die Zugehörigkeit des Fossils allerdings nicht. Gehörte der Mund tatsächlich zu einer Pambdelurion-Spezies oder einer nah verwandten Art, ist er mit modernen Gliederfüßern verwandt – und molekulare Analysen belegen, dass auch Peniswürmer zur engeren Verwandtschaft heute lebender Arthropoden gehören.

Die Gruppe der Anomalocariden steht den Gliederfüßern wohl ebenfalls nahe. „Das zeigt, dass beide Hypothesen nicht ganz richtig, aber auch nicht völlig falsch sind“, sagt Vinther. Weil auch Peniswürmer über ringförmige Mundwerkzeuge verfügen, glauben die Forscher, dass bereits der letzte gemeinsame Vorfahre von Priapswurm und Pambdelurion einen solchen raffinierten Fressapparat hatte.

Gemeinsames Merkmal

Erst vor kurzem hatten Wissenschaftler entdeckt, dass auch andere ferne Vorfahren der heutigen Gliederfüßer einen Ring aus Zähnen im Maul hatten – so zum Beispiel das ebenfalls vor rund 500 Millionen Jahren lebende Urzeitwesen Hallucigenia. „Diese anatomischen Strukturen scheinen demnach charakteristische, primitive Merkmale von Häutungstieren (Ecdysozoa) im Allgemeinen zu sein“, schreiben Vinther und seine Kollegen. Zur Gruppe der heute lebenden Häutungstiere gehören neben den Gliederfüßern, auch Bärtierchen und Stummelfüßer.

„Es scheint, als sei man im Kambrium nirgendwo sicher gewesen“, sagt Vinthers Kollege Fletcher Young. „Egal ob man auf dem Ozeanboden oder im freien Meer lebte – überall gab es ein hässliches Monster, das einen verschlingen wollte.“ (Palaeontology, 2016; doi: 10.1111/pala.12256)

(University of Bristol, 27.09.2016 – DAL)

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