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Biologie

Tauben können „lesen“

Vögel lernen, echte Wörter von Nonsens-Buchstaben-Kombinationen zu unterscheiden

Tauben sind schlauer als man ihnen zutraut. © Leo za1/ CC-by-sa 3.0

Verblüffende Fähigkeit: Tauben können lernen, englische Wörter von unsinnigen Buchstaben-Kombinationen zu unterscheiden. Sie erkennen dabei echte Wörter sogar dann, wenn diese ihnen völlig neu sind. Das belegt, dass die Tauben rudimentäre Regeln hinter der Wortbildung verstehen, wie Forscher im Fachmagazin „Proceedings of the National Academy of Sciences“ berichten. Die Vögel sind demnach zu deutlich mehr Abstraktion fähig als man bisher glaubte.

Tauben gelten landläufig nicht unbedingt als Ausbund der Intelligenz. Aber das täuscht. Obwohl das Gehirn dieser Vögel nur so klein ist wie die Spitze unseres Zeigefingers, leisten die Vögel damit Erstaunliches, wie Studien belegen: Tauben können zählen, verstehen abstrakte Zahlenregeln und können auf Gewebeschnitten sogar Krebs von gutartigen Geschwulsten unterscheiden lernen.

Doch die klugen Tauben können noch mehr, wie Damian Scarf von der University of Otago und seine Kollegen herausgefunden haben. Für ihr Experiment lernten vier Tauben zunächst, zwischen echten englischen Vier-Buchstabenwörtern und knapp 8.000 ähnlichen Nonsens-Wörtern zu unterscheiden. So gab es für das korrekt angetippte Wort „DONE“ eine Futterbelohnung, tippten die Tauben das gleich lange Nichtwort „DNOE“ an, bekamen sie nichts.

Wort oder Nichtwort?

Nach und nach lernten die Tauben so zwischen 26 und 58 Wörtern zu erkennen und von Nichtwörtern zu unterscheiden. Dann folgte der eigentliche Test: Um zu prüfen, ob die Tauben die Wörter einfach nur auswendig gelernt hatten oder ob sie sich orthografische Regeln angeeignet hatten, zeigten die Forscher den Vögeln neue Wörter und Nichtwörter.

Und tatsächlich: Obwohl sie die neuen Wörter und Nichtwörter nie zuvor gesehen hatten, lagen die Tauben überraschend oft richtig. Sie ordneten die Buchstaben-Kombinationen häufiger korrekt den beiden Kategorien zu als man es nach dem Zufall erwarten würde. „Im Minimum suggeriert dies, dass die Tauben einige allgemeine statistische Erkenntnisse darüber gewonnen haben müssen, was echte Wörter von Nichtwörtern unterscheidet“, so Scarf und seine Kollegen.

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Sowohl bei Tauben (A) als auch bei Menschen steigt die Erkennungsrate von Nichtwörtern, je unähnlicher diese existierenden Wörtern sind. © Scarf et al./PNAS

Zwei Regeln erkannt

Eine detaillierte Analyse ergab, dass die Vögel wahrscheinlich zwei Regeln erkannt hatten und anwendeten: Zum einen hatten sie gelernt, dass bestimmte Zweierkombinationen von Buchstaben bei echten englischen Wörtern häufiger auftauchen als bei Nichtwörtern. Das Wort „DONE“ umfasst beispielsweise drei solcher Bigramme: DO, ON und NE.

Zum anderen zeigten die Experimente, dass die Tauben ähnliche Fehler machten wie Menschen beim Lesenlernen: Je ähnlicher ein Nichtwort einem Wort war, desto eher hielten sie es für einen gültigen Ausdruck. Ermittelt wird diese Ähnlichkeit über die sogenannte Lewenstein-Distanz: Sie gibt an, wie viele Buchstaben vertauscht, gelöscht oder eingefügt werden müssen, um aus einem Nichtwort ein Wort oder aus einem Wort ein anderes zu machen.

Clever auch ohne Primatenhirn

Nach Ansicht der Forscher demonstriert dieses „Lesen“ der Tauben, dass Vögel nicht nur visuelle Muster lernen und wiedererkennen können, sondern dass sie auch einige der dahinterstehenden Konzepte begreifen. Ein reines Auswendiglernen beispielsweise der Nichtwörter kann diese Ergebnisse nicht erklären, denn mit knapp 8.000 Wörtern sei der Fundus dafür zu groß, so Scarf und seine Kollegen.

„Diese enorme kognitive Leistung der Tauben offenbart, dass es kein Privileg von Primaten – oder gar nur des Menschen – ist, orthografische Regeln zu beherrschen“ sagt Koautor Onur Güntürkün von der Ruhr-Universität Bochum. Tauben besitzen kein hochentwickeltes Großhirn und daher fehlt ihnen auch das für die Worterkennung bei uns zuständige Hirnareal. Dennoch hindert dies die Vögel offenbar nicht, ähnliche Fähigkeiten zu zeigen.

„Diese Erkenntnisse zeigen, dass sich bei Vögeln und Säugetieren im Laufe einer 300 Millionen Jahre währenden parallelen Evolution sehr ähnliche kognitive Leistungen herausgebildet haben – unabhängig von Hirnstrukturen“, so Güntürkün. (Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS), 2016; doi: 10.1073/pnas.1607870113)

(Ruhr-Universität Bochum/ PNAS, 20.09.2016 – NPO)

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