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Medizin

Meeresschnecke liefert Turbo-Insulin

Patent der Natur könnte schnellwirksamere Diabetes-Präparate ermöglichen

Eine Landkarten-Kegelschnecke (Conus geographus) stülpt ihr Maul über einen vn ihrem Gift betäubten Fisch. © Baldomero Olivera

Von der Natur abgeguckt: Eine Meeresschnecke könnte helfen, schneller wirksame Insulin-Präparate zu erzeugen. Denn das Insulin der Schnecke wirkt schon nach fünf Minuten, bisher gängige Präparate benötigen dagegen mindestens eine Viertelstunde, bis sie den Blutzucker senken. Durch Vergleiche der Molekülstruktur können Forscher nun das Erfolgsrezept für dieses „Turbo-Insulin“ der Schnecken abgucken und auf menschliche Insulin-Präparate übertragen.

Die Landkarten-Kegelschnecke (Conus geographus) war bisher vor allem für ihr gefährliches Gift bekannt: Wer von dem harpunenartigen Giftpfeil dieser tropischen Meeresschnecke getroffen wird, der muss um sein Leben fürchten. Die schnell wirkende Mischung aus mehr als 100 verschiedenen toxischen Substanzen führt schnell zum Schock und hat bereits einige Todesfälle verursacht. Ein Gegenmittel gibt es nicht.

Dreimal so schnell

Jetzt aber entpuppt sich zumindest ein Inhaltsstoff dieses potenten Giftcocktails als durchaus segensreich: Insulin. Wie John Menting vom australischen Walter and Eliza Hall Institute of Medical Research und seine Kollegen entdeckt haben, produziert die Kegelschnecke ein besonders schnellwirkendes Insulin – und eines, das auch beim Menschen wirkt.

Für ihre Studie testeten die Forscher das Schnecken-Insulin an Zellkulturen mit menschlichen Insulin-Rezeptoren. Dabei zeigte sich: Das Schnecken-Mittel band innerhalb von fünf Minuten an die Andockstellen und setzte in ihnen die Blutzucker-senkende Reaktion in Gang. Zwar war die Wirkung etwas schwächer als bei menschlichen Insulin-Präparaten, dafür aber dreimal so schnell, wie die Wissenschaftler berichten.

Bisher haben Insulinpräparate für Diabetiker das Manko, dass sie rechtzeitig im Vorhinein gespritzt werden müssen. Selbst die schnellsten von ihnen benötigen 15 bis 30 Minuten, bis sie anschlagen. Die Patienten müssen daher immer rechtzeitig vor einer Mahlzeit daran denken. Im Notfall

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Insulin der Schnecke (rotweiß) und des Menschen (blauweiß). Der grüne Abschnitt der B-Kette fehlt bei der Meeresschnecke. © Mike Lawrence

Verklumpung als Bremse

Der Grund für diese Verzögerung liegt in der Struktur des menschlichen Insulins: Die sogenannte B-Region des Moleküls sorgt dafür, dass das Insulin in der Bauchspeicheldrüse in Sechsergruppen verklumpt. Das ist zwar praktisch für die kompakte Speicherung, kostet aber beim Entpacken wertvolle Zeit.

„Das ideale Szenario wäre es, wenn wir den dafür verantwortlichen Teil der B-Kette komplett entfernen könnten“, erklärt Koautorin Helena Safavi-Hemami von der Universität of Utah. Doch leider ist bisher unbekannt, welcher Teil der Kette das Verklumpen auslöst. Wenn man jedoch die gesamte B-Kette entfernt, verliert das Insulin seine Wirkung.

Rezept der Natur

Genau hier kommt nun das Schnecken-Insulin zu Hilfe. Denn dieses verklumpt nicht und wirkt trotzdem noch blutzuckersenkend. Damit liefert die Meeresschnecke die perfekte chemische Blaupause, die den Pharmazeuten bisher fehlte. Wie Analysen der Molekülstruktur ergaben, besitzt das Schnecken-Insulin zwar eine B-Kette, aber der verklumpende Molekülteil fehlt ihm.

Dadurch müssen Mediziner und Pharmazeuten dieses „Rezept“ jetzt nur noch abgucken und auf menschliche Insulin-Präparate übertragen: Indem sie die Struktur von menschlichem und Schnecken-Insulin vergleichen, können sie die Teile identifizieren, die für die Verklumpung zuständig sind und sie gezielt entfernen. „Diese Ergebnisse liefern uns damit eine Plattform für die Entwicklung einer neuen Klasse von menschlichen Insulin-Analoga, die von Natur aus einzeln und schnell wirkend sind“, erklären die Forscher.

Schlecht für die Beute, gut für uns

Warum die Landkarten-Kegelschnecke überhaupt Insulin als Teil ihres Gift-Cocktails verwendet, haben Safavi und ihre Kollegen in einer zweiten Studie herausgefunden. Demnach nutzt die Schnecke das Insulin, um ihre Beute damit zu betäuben: Weil der Blutzucker des vergifteten Fischs rapide fällt, kann er sich kaum mehr bewegen. Die Meeresschnecke hat daher reichlich Zeit, um die Beute in aller Ruhe zu verschlingen.

„Für die Schnecke ist es daher sehr sinnvoll, ein schnellwirkendes Insulin zu entwickeln: Sie muss ihre Beute schnell in den hypoglykämischen Schock versetzen“, erklärt Safavi. „Wir jedoch können nun mit seiner Hilfe herausfinden, wie wir das menschliche Insulin schneckenähnlicher machen können. (Nature Structural & Molecular Biology, 2016; doi: 10.1038/nsmb.3292)

(University of Utah, 13.09.2016 – NPO)

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