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Genetik

Künstliche Aminosäuren in Genom eingeschleust

Wissenschaftler bauen synthetische Bausteine in die Translationsmaschinerie lebender Zellen ein

Die Erweiterung des genetischen Codes. Proteine mit synthetischen Aminosäuren können neue physikalisch-chemische Eigenschaften und Funktionen besitzen, die in der Natur nicht vorkommen. So enthält das natürliche "Cyan-fluoreszierende Protein" die kanonische Aminosäure Tryptophan in den Chromophoren. Kolibakterien, die dieses Protein herstellen, sind entsprechend gefärbt (links). Rechts dagegen sind Kolibakterien, deren genetische Code-Interpretation so geändert ist, dass sie statt Tryptophan die synthetische Aminosäure Amino-Tryptophan in das Zielprotein einbauen. Die Wirtszellen und das entsprechende Protein fluoreszieren "goldfarben" (Gold-fluoreszierendes Protein). © Max-Planck-Institut für Biochemie

Proteinchemiker suchen seit langem nach Wegen, wie man die Proteinsynthese in lebenden Zellen umprogrammieren und den genetischen Code durch „künstliche“ Aminosäuren erweitern kann. Wissenschaftlern des Max-Planck-Instituts für Biochemie ist es jetzt gelungen, Escherischia coli-Bakterien unter Selektionsdruck dazu zu bringen, synthetische Aminosäuren ihrem genetischen Code hinzu zu fügen und neue Klassen von fluoreszierenden Proteinen zu erzeugen.

Durch den Einbau einer Elektronen-spendenden Aminogruppe in das bekannte „Grün-fluoreszierende Protein“ entstand auf diese Weise ein „Gold-fluoreszierendes Protein“, ein lang erwartetes Werkzeug für dynamische biophysikalische Untersuchungen von Zellen und Geweben. Durch Hinzufügen neuer Aminosäuren zum genetischen Code lassen sich somit neuartige Proteine mit maßgeschneiderten physikalisch-chemischen Eigenschaften und Funktionen erzeugen, die in der Natur nicht vorkommen. Mit diesem „Engineering des genetischen Codes“ eröffnen sich einerseits völlig neue Forschungsthemen, wie die Entwicklung „synthetischer Lebensformen“, von „Teflon-Proteinen“, dem „de novo Protein-Design“ sowie vielfältige Anwendungen. Damit ergeben sich aber andererseits auch ganz neue moralisch-ethische und philosophische Fragestellungen.

Natürlicher Kanon erweitert

Der genetische Code schreibt vor, wie die in der DNS gespeicherten Erbinformationen in die Aminosäuresequenzen der Proteine zu übersetzen sind. Hierbei gibt es eine auffällige Besonderheit – alle auf der Erde lebenden Organismen kommen mit denselben 20 Aminosäuren als grundlegenden Bausteinen für ihre Proteinsynthese aus. Doch in diesem „kanonischen Repertoire“ des genetischen Codes fehlen viele interessante Aminosäureverbindungen, die Atome wie Fluor, Chlor, Brom, Selen, Silizium oder interessante chemische Gruppen (cyano-, azido-, nitroso-, nitro- usw.) enthalten. Mit diesen Bausteinen ließen sich ganz neue Klassen von therapeutischen oder diagnostischen Proteinen herstellen, aber auch nicht-invasive protein-basierte Sensoren, neue umweltfreundliche Materialien, usw.

Erste Versuche zeigen, dass die Zahl der Aminosäuren in der Proteinsynthese weit über die kanonischen Zwanzig hinaus ausgedehnt werden kann. Das ist aber nur möglich, wenn man entweder die Interpretation des genetischen Codes verändert oder die Kodierungskapazität durch zusätzliche Aminosäuren erweitert. Damit entsteht am Schnittpunkt von synthetischer Chemie und Molekularbiologie ein völlig neues Forschungsgebiet, das „Engineering des genetischen Codes“.

“Code-Evolution im Labor“ prognostiziert

Wissenschaftler um Nediljko Budisa am Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried haben bereits viele Beispiele verwirklicht, wie Proteine mit nichtkanonischen Aminosäuren von der Biomedizin bis zur Strukturgenomik nutzbringend eingesetzt werden können. Das „Gold-fluoreszierende Protein“ ist ein besonders überzeugendes Beispiel, wie mächtig diese Technologie für das Design von maßgeschneiderten Proteinen ist. „Während die Entzifferung des genetischen Codes eine Folge der intensiven Wechselwirkungen zwischen organischer Chemie und Genetik in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts war, wird die gegenwärtige ‚Ehe’ zwischen Chemie und Molekularbiologie zu einer ‚Code-Evolution im Labor’ führen“, behauptet Nediljko Budisa, Leiter einer Forschungsgruppe am Max-Planck-Institut für Biochemie.

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Die Konservierung von zwanzig Grundbausteinen im jetzigen Code ist die Folge einer evolutionären Entwicklung, d.h. ein eher historisches Ereignis, gestaltet durch ein Spiel von Zufall und Notwendigkeit. Es mag sein, dass der jetzige Code „der bestmögliche“ für alle Lebewesen auf der Erde ist, aber sicher nicht der bestmögliche für unsere technischen und technologischen Bedürfnisse. Die jetzige Codestruktur bietet genug Raum für eine erfolgreiche Repertoire-Erweiterung. Da die effiziente Reprogrammierung des Translationsapparats eine wichtige Voraussetzung für die Biotechnologie der Zukunft ist, müssen wir die weitere Code-Evolution in unsere Hände nehmen.“

Das Engineering des genetischen Codes hat sich in den vergangenen Jahren zu einem Top-Forschungsgebiet in der Proteinchemie und Biologischen Chemie entwickelt. Budisa betont: „Damit stellen sich auch völlig neue Fragen nach der „ersten künstlichen Lebensform“, nach „Teflon-Proteinen“, einem de novo Proteindesign, dem Potential von Aminosäure-Surrogaten in der Neurobiologie oder Aspekten der Evolutionstheorie. Diese Forschungsrichtung wird also nicht nur zu neuem technischem Fortschritt führen, sondern auch eine weitere Dimension in traditionelle philosophische, moralische und ethische Debatten bringen.“

(MPG, 10.12.2004 – NPO)

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