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Biologie

Auch Pflanzen schauen aufs Risiko

Erbsen reagieren beim Wurzelwachstum je nach Situation mal riskant, mal risikoscheu

Erbsenpflanzen sind je nach Situation mal risikofreudiger, mal nicht. © Ksena32/ iStock.com

Schlaues Grünzeug: Pflanzen erkennen sehr genau, ob sich ein Risiko lohnt oder nicht – das demonstriert nun erstmals ein Experiment mit Erbsenpflanzen. Diese passten das Wachstum ihrer zweigeteilten Wurzel an die Situation an – mal entschieden sie sich für eine risikoarme Strategie, mal für eine riskantere. Eine solche Flexibilität und Risikoeinschätzung hätte man bisher Pflanzen nicht zugetraut – schließlich besitzen sie weder Nerven noch Gehirn.

Von wegen tumbe Gewächse: Pflanzen reagieren auf Reize, kommunizieren untereinander und rufen bei Schädlingsbefall Hilfe herbei. Moos, Blume und Co besitzen sogar eine Art Gedächtnis: Sie merken sich Kälteperioden und wie Forscher kürzlich entdeckten, kann die fleischfressende Venusfliegenfalle sogar zählen und sich das Ergebnis merken.

Efrat Dener von der Ben-Gurion Universität in Israel und seine Kollegen haben eine weitere Fähigkeit der Pflanzen untersucht: Sie wollten wissen, ob Pflanzen Risiken abschätzen. „Von Tieren ist bekannt, dass ihre Präferenz für bestimmte Nahrungsquellen stark davon abhängt, wie reichhaltig und wie variabel das Angebot dort ist“, erklären die Forscher. Manchmal kann es sich lohnen, ein riskanteres, weil schwankendes Angebot zu bevorzugen, manchmal nicht.

Welcher Topf ist besser?

Um zu testen, ob auch Pflanzen eine solche Risikoabschätzung betreiben, ersannen Dener und seine Kollegen ein simples, aber raffiniertes Experiment: Sie teilten die Wurzelballen von Erbsenpflanzen (Pisum sativum) und pflanzten die Hälften in zwei nebeneinanderstehende Töpfe ein. Nun konnten sie den Nährstoffgehalt der Böden in beiden Töpfen unterschiedlich verändern und beobachten, wie sich die Pflanze verhält.

Sagt ihr ein Boden mehr zu, wird sie dort mehr in das Wurzelwachstum investieren. Ist ein Nährstoffregime nicht nach ihrem Gusto, müsste die Pflanzenwurzel dort klein bleiben. Im ersten Test hatte die Erbse die Wahl zwischen einem Topf mit optimalem Nährstoffniveau und einem mit kargem Boden. Und tatsächlich: Im Laufe der nächsten Wochen wuchs nur die Wurzel im nährstoffreichen Topf und bildete zahlreiche neue Verzweigungen.

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In welchem Topf lohnt sich eine Investition ins Wurzelwachstum? © Hagai Shemesh

Pro-Risiko bei kargen Bedingungen

Interessant aber wurde es im nächsten Versuch: Jetzt gaben die Forscher ihren Erbsenpflanzen die Wahl zwischen einer gleichbleibend entweder hohen oder niedrigen Nährstoffversorgung und einer im Laufe der Zeit stark wechselnden. Im Mittel erhielten die Erbsen in beiden Töpfen die gleiche Nährstoffmenge – einmal in beiden niedrig, einmal in beiden optimal.

Wie sich zeigte, fiel die Wahl der Erbsenpflanzen unterschiedlich aus: War der Nährstoffgehalt im Durchschnitt hoch, wählten sie den stabilen Topf, ihre Wurzeln wuchsen dort deutlich stärker. Sie reagierten damit eher risikoscheu, wie die Forscher erklären. War dagegen das Angebot karg, entschieden sich die Erbsen für den Topf mit den schwankenden Werten – und damit für das Risiko unvorhersehbarer Bedingungen.

„Pflanzen sind dynamische Strategen“

Nach Ansicht der Forscher demonstriert dies, dass Pflanzen Risiken abschätzen und ihr Verhalten je nach Situation flexibel umstellen können. Herrscht Nährstoffmangel, gehen sie größere Risiken ein und setzen darauf, dass unter variablen Bedingungen eher einmal „fette“ Zeiten kommen können. Herrscht Überfluss, reagieren sie eher risikoscheu.

„Unseres Wissens nach ist dies der erste Beleg für eine adaptive Reaktion auf Risiko bei einem Organismus, der kein Nervensystem besitzt“, sagt Koautor Alex Kacelnik von der University of Oxford. „Unsere Ergebnisse enthüllen die Erbsenpflanzen als dynamische Strategen.“ Auch Pflanzen haben demnach Verhaltensweisen entwickelt, mit denen sie die Bedingungen ihrer Umwelt optimal ausnutzen.

Wie schaffen die Pflanzen das?

„Wir sagen damit nicht, dass Pflanzen intelligent sind in dem Sinne, wie dies beim Menschen oder anderen Tieren der Fall ist“, betont Kacelnik. Denn immerhin fehlt ihnen ein Nervensystem oder Gehirn. Doch offensichtlich hält sie dies nicht davon ab, flexible und eindrucksvoll komplexe Reaktionen zu zeigen.

Noch wissen die Forscher nicht, wie die Pflanzen das bewerkstelligen. Es gibt aber Studien, die epigenetische Veränderungen oder sogar Prionen als mögliche Akteure nahelegen. Klar scheint nur: Im vermeintlich so passiven Grünzeug steckt mehr als wir ahnen. „Wie die meisten Menschen habe ich Pflanzen bisher eher als passive Empfänger der Umstände gesehen“, sagt Dener. „Unsere Experimente habe gezeigt, wie falsch das ist.“ (Current Biology, 2016; doi: 10.1016/j.cub.2016.05.008)

(University of Oxford/ Cell Press, 01.07.2016 – NPO)

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