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Klima

Sibirische Lärchenwälder sind noch auf Eiszeit gepolt

Anpassung an den Klimawandel hinkt Jahrtausende hinterher

Dem Klimawandel zum Trotz: Die sibirische Lärche ist in Russland weit verbreitet © ugraland/ CC-by-sa 2.0

Rätsel gelöst: Forscher haben herausgefunden, warum die Pflanzenwelt in Nordrussland kaum auf den Klimawandel zu reagieren scheint. Ihre Studie zeigt: Schon in der Vergangenheit brauchte die Vegetation in den Permafrostregionen oft mehrere Jahrtausende, um sich an ein neues Klima anzupassen. Schuld an der verzögerten Reaktion könnte die isolierende Wirkung von Lärchen sein. Sie schützen mit ihren flachen Wurzeln das Eis – in Folge tauen die gefrorenen Böden langsamer.

Die sibirischen Permafrostregionen gehören zu jenen Gebieten der Erde, die sich im Zuge des Klimawandels besonders schnell erwärmen. Bereits seit dem Beginn der Industrialisierung und dem zunehmenden Ausstoß von Treibhausgasen werden die sibirischen Winter deutlich milder – ein Trend, der sich kontinuierlich verstärkt. Prognosen zufolge könnten die gefrorenen Böden in diesen Regionen in Zukunft immer schneller auftauen.

Überraschenderweise scheint die Vegetation auf diese drastischen Veränderungen jedoch kaum zu reagieren. Dort, wo gemessen an der Lufttemperatur längst Kiefern- und Fichtenwälder wachsen müssten, gedeihen noch immer sibirische Lärchen. Wissenschaftler um Ulrike Herzschuh vom Alfred-Wegener-Institut in Potsdam haben sich nun auf die Suche nach einer Erklärung für dieses Paradox gemacht – und Erstaunliches festgestellt.

Ungewöhnlich lange Verzögerung

Für ihre Spurensuche begaben sich Herzschuh und ihre Kollegen 2,1 bis 3,5 Millionen Jahre in die Vergangenheit zurück: Sie untersuchten Blütenpollen, die sie entsprechend alten Sedimentproben aus dem Elgygytgyn-See im Osten Russlands entnommen hatten. Auf diese Weise zeichneten sie die Vegetationsgeschichte der Region detailliert nach und verglichen die Entwicklung anschließend mit rekonstruierten Klimawerten aus dieser Zeitperiode.

Die statistischen Analysen der Pollendaten ergaben ein deutliches Muster: Bei einem Wechsel von einer Kalt- zu einer Warmzeit brauchte die sibirische Vegetation in der Vergangenheit mitunter bis zu mehrere tausend Jahre, um sich an die Klimaveränderungen anzupassen – die langsame Reaktion ist demnach kein Einzelfall. Für die Forscher ist das ein völlig neues Ergebnis: „Bisher gingen wir Klimaforscher nur von einer Verzögerung von mehreren Jahrzehnten oder Jahrhunderten aus – nicht von Jahrtausenden“, sagt Herzschuh.

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Isolierende Wirkung

Der Blick in die Vergangenheit offenbarte auch: Je kälter die vorangegangene Eiszeit war, desto länger brauchte die Pflanzenwelt im Anschluss, um sich an das Klima der Warmzeit anzupassen. Auch die jüngste Eiszeit vor 20.000 Jahren war dem Team zufolge eine besonders kalte: „Dadurch hat sich der Permafrost großräumig ausgebreitet“, schreiben die Wissenschaftler. Tiefwurzelnde Bäume wie Kiefern und Fichten wurden dabei weit nach Süden verdrängt. Die flachwurzelnden Lärchen, denen eine sommerliche Bodenauftauschicht von 20 bis 30 Zentimetern genügt, überdauerten.

Womöglich könnte es ihre schützende Wirkung sein, die die Reaktion auf den klimatischen Wandel verzögert, glauben die Forscher: Der Lärchenwald mit seinem flachen, dichten Wurzelteppich wirkt sich isolierend auf das Eis aus. Er lässt den Permafrost langsamer auftauen als in nicht bewaldeten Gebieten. Deshalb könnte es in der Vergangenheit stets mehrere Jahrtausende gedauert haben, bis nach einer besonders kalten Eiszeit der Permafrost verschwunden war und Kiefern und Fichten die Lärchen verdrängt hatten.

Wälder als Wärmespeicher

Die Erkenntnisse über die zeitverzögerte Anpassung der Vegetation stellen die Wissenschaftler nun vor eine neue Herausforderung: „Im Zuge der anhaltenden Erwärmung der Arktis werden Kiefern und Fichten zeitverzögert in die sibirische Taiga einwandern. Das bedeutet, dass die Wälder dichter und damit auch dunkler werden, weshalb sie mehr Wärmestrahlung speichern werden als bisher“, sagt Herzschuh.

Dieser Umstand wiederum bedeute, dass die Temperatur in Sibirien noch bis in ferne Zukunft ansteigen wird – selbst wenn es uns Menschen gelingen sollte, den Kohlendioxidgehalt in der Atmosphäre schon in naher Zukunft zu stabilisieren. Der Einbau dieser langfristigen Vegetationsprozesse in Klimamodelle sei daher dringend notwendig, schließt das Team. (Nature Communications, 2016; doi: 10.1038/ncomms11967)

(Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung, 27.06.2016 – DAL)

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