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Geowissen

Lichtverschmutzung: Weltweiter Verlust der Nacht

80 Prozent der Menschheit lebt unter einem anomal hellen Nachthimmel

Das dicht besiedelte Europa produziert viel nähchtliches Streulicht, einer der Hotspots: Ein Gebiet vom Ruhrgebiet bis nach Belgien. © Falchi et al.

Streulicht statt Sterne: Die Lichtverschmutzung hat weltweit besorgniserregende Ausmaße angenommen, warnen Forscher anlässlich ihres neuen Atlas der Lichtverschmutzung. Demnach leben bereits mehr als 80 Prozent der Weltbevölkerung unter einem anomal hellen Nachthimmel, ein Drittel der Menschheit hat keine Chance, die Milchstraße zu sehen. Das aber schade nicht nur Mensch und Tier, es nehme uns auch unseren Bezug zum Kosmos.

Wir machen die Nacht zum Tag: Die künstliche Beleuchtung von Straßen, Gebäuden und Industrieanlagen überlagert vielerorts den natürlichen Tag-Nacht-Rhythmus. Die Folgen davon: Das nächtliche Streulicht stört die innere Uhr von Mensch und Tier und macht uns blind für den Nachthimmel.

„Wir haben allein in den USA eine ganze Generation von Menschen, die noch nie die Milchstraße gesehen haben“, sagt Koautor Christopher Elvidge von der US-National Oceanic and Atmospheric Administration (NOAA). „Dieser Anblick ist ein wichtiger Teil unserer Verbindung zum Kosmos – und geht uns verloren.“

Satellitendaten und Citizen Scientists

Wie stark die Lichtverschmutzung inzwischen weltweit ist, zeigt nun ein neuer Atlas, den Elvidge, Fabio Falchi vom Light Pollution Science and Technology Institute in Italien und ihre Kollegen zusammengestellt haben. Die Daten dafür stammen zum großen Teil vom NASA-Satelliten Suomi NPP, der die Erde auf einem polaren Orbit umkreist. Dank eines speziellen Sensors misst er die Intensität des nächtlichen Streulichts siebenmal genauer als bisherigen Instrumente und erfasst dabei das Spektrum vom grünen bis in ins rote und infrarote Licht.

Ergänzt wurden die Satellitendaten durch tausende Messungen von Forschern und freiwilligen Helfern, die mit Hilfe von Lichtsensoren und einer Handy-App die Helligkeit des Himmels an 21.000 Orten der Erde ermittelten. „Rund zwanzig Prozent der Eichdaten kamen von Citizen Scientists“, berichtet Koautor Christopher Kyba vom GeoForschungszentrum Potsdam (GFZ). „Ohne sie hätten wir keine Daten von außerhalb Europas und Nordamerikas.“

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60 Prozent der Europäer bekommen die Milchstraße nie zu sehen. Hier ihr prachtvoller Anblick in einem Nationalpark in den USA. © Dan Duriscoe

Planet im leuchtenden Nebel

Das Ergebnis der Messungen: Weite Teile der Welt sind selbst nachts förmlich in Licht gebadet. „83 Prozent der Weltbevölkerung und mehr als 99 Prozent der Bewohner Europas und der USA leben unter einem lichtverschmutzten Himmel“, berichten Falchi und seine Kollegen. „Die Menschheit hat unseren Planeten in einen leuchtenden Nebel eingehüllt.“

Mehr als ein Drittel der Menschheit habe dadurch keine Chance mehr, die Milchstraße zu sehen, in Europa seien es sogar 60 Prozent. Zu den Ballungsräumen ohne Chance auf den Milchstraßenanblick gehören die Region vom Ruhrgebiet bis nach Belgien hinein, der Großraum London, die Städte an der US-Ostküste zwischen Boston und Washington und die asiatischen Ballungsräume um Peking und Hongkong.

Taghelle Nacht in Singapur

Das weltweit am stärksten lichtverschmutzte Land ist den neuen Daten nach Singapur. „Hier lebt die gesamte Bevölkerung unter einem Himmel, der so hell ist, dass die Augen erst gar nicht auf Nachtsicht umschalten“, so die Forscher. Ähnlich hell ist es auch in einigen arabischen Staaten, darunter Kuweit, Qatar und den Emiraten.

Interessanterweise schneidet Deutschland zumindest unter den G20-Staaten gar nicht so schlecht ab: „In Saudi-Arabien und Südkorea lebt der höchste Anteil der Bevölkerung unter extrem hellen Himmeln, während Deutschland in dieser Hinsicht am wenigsten Menschen unter Lichtverschmutzung leiden“, berichten Falchi und seine Kollegen.

Die Ostküste der USA ist ein einziges Lichtermeer udn acuh sonst gibt es im Land nur noch wenige dunkle Stellen. © Falchi et al.

Dunkel nur noch in den Wüsten und Dschungeln

Wer allerdings einen richtig dunklen Nachthimmel erleben möchte, der sollte nach Madagaskar, in das Herz Afrikas oder nach Grünland fahren. Denn dort ist noch in den meisten Gebieten ein nicht von Licht verschmutzter, unberührter Himmel zu sehen. Innerhalb der G20-Staaten ist Australien das Land mit der geringsten Lichtverschmutzung.

Für die dunklen Himmel vor allem der trockenen Regionen der Erde spielt dabei neben der Bevölkerungsdichte auch das Wetter eine wichtige Rolle. Denn wenn der Himmel bewölkt ist, reflektieren die Wolken das Licht und erzeugen einen um ein Mehrfaches intensiveren „Skyglow „, wie die Wissenschaftler erklären. In Berlin beispielsweise steige die Intensität des Streulichts dadurch um das Zehnfache an.

Grenzwerte für die Lichtverschmutzung?

Die Forscher warnen vor den langfristigen Folgen dieser massiven Lichtverschmutzung – es müsse dringend etwas dagegen getan werden. Sinnvolle Maßnahmen dafür wären beispielsweise eine bessere Abschirmung von Lampen, das automatische Abschalten oder Abdimmen nicht benötigter Lichter und die Einführung von Grenzwerten für die Lichtverschmutzung – ähnlich den bereits bei der Luftverschmutzung geltenden.

Wichtig sei es zudem, neue Lichttechnik, wie die LED-Beleuchtung im Straßenverkehr, vor dem großflächigen Einsatz sehr genau zu prüfen: „Wenn wir nicht sehr genau auf das LED-Spektrum und die Beleuchtungsstärken achten, könnte das zu einer Verdoppelung oder sogar Verdreifachung der Himmelsaufhellung in klaren Nächten führen“, warnt Falchi. (Science Advances, 2016; doi: 10.1126/sciadv.1600377)

(AAAS, 13.06.2016 – NPO)

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