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Medizin

Genetische Ursache der Multiplen Sklerose entdeckt

Mutation löst bei 70 Prozent seiner Träger die Autoimmun-Erkrankung aus

Eine Genmutation im GenNR1H3 löst bei 70 Prozent ihrer Träger den Ausbruch der Multiplen Sklerose aus. © Svisio/ iStock.com

Hoffnung für MS-Patienten: Forscher haben erstmals eine Genmutation entdeckt, die direkt den Ausbruch der Multiplen Sklerose verursacht. Träger dieser Mutation erkranken zu 70 Prozent an der neurologischen Autoimmun-Erkrankung. Das Spannende daran: Zwar ist diese Mutation auch unter MS-Patienten selten, andere Veränderungen im gleichen Gen sind es aber nicht. Die Entdeckung dieses Auslösers kann daher die Entwicklung neuer Therapien maßgeblich voranbringen, wie Forscher im Fachmagazin „Neuron“ berichten.

„Bisher ist nur wenig über die biologischen Prozesse bekannt, die zum Ausbruch der Krankheit führen“, sagt Seniorautor Carles Vilariño-Güell von der University of British Columbia (UBC) in Vancouver. Mediziner vermuten, dass die Durchlässigkeit der Blut-Hirn-Schranke, aber auch die Darmflora eine Rolle spielt und dass bestimmte Substanzen den Verlauf verschlimmern können.

Klar scheint auch, dass es eine genetische Komponente der Multiplen Sklerose gibt: Bei zehn bis 15 Prozent der Fälle schreitet die Krankheit besonders schnell fort und scheint erblich bedingt zu sein, doch die bisher entdeckten Genvarianten entdeckt können nur einen sehr kleinen Teil des erhöhten Krankheitsrisikos der Betroffenen erklären.

Genmutation blockiert Steuer-Protein

Jetzt könnten Vilariño-Güell und seine Kollegen hier einen Durchbruch erzielt haben. Für ihre Studie hatten sie die Daten einer Biobank ausgewertet, in denen Proben von 4.400 Menschen mit Multipler Sklerose gespeichert sind, sowie 8.600 ihrer nächsten Verwandten. Dabei fiel den Forschern eine Familie auf, in der fünf MS-Fälle in zwei Generationen aufgetreten waren und sie suchten nach potenziell auslösenden Genmutationen.

Tatsächlich wurden die Wissenschaftler fündig: Auf einem Gen namens NR1H3 stießen sie auf einen kurzen Abschnitt, dessen Richtung vertauscht war. „Diese miss-sense Mutation verursacht einen Verlust der Funktion dieses Gens“, erklärt Koautor Weihong Song von der University of British Columbia. Dadurch wird das Regulations-Protein LXRA nicht mehr produziert, das normalerweise entzündungshemmende, immunregulierende und myelinschützende Gene anschaltet.

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Multiple Sklerose: Myelin-Abbau durch körpereigene Abwehrzellen stört die Nervenleitung © Marvin 101 / CC-by-sa 3.0

70 Prozent Erkrankungswahrscheinlichkeit

Nach dem Fund dieser Genmutation suchten die Forscher in der Biobank gezielt nach weiteren Fällen und fanden eine zweite Familie mit gehäuften MS-Fällen, bei denen dieses Gen auf gleichen Weise verändert war. Aus ihren Daten schließen sie, dass die Träger dieser Genmutation ein 70-prozentiges Risiko besitzen, an MS zu erkranken.

„Die Mutation schiebt diese Menschen gewissermaßen an den Rand eines Abgrunds“, erklärt Vilariño-Güell. Das erhöhe ihre Anfälligkeit für umweltbedingte Faktoren, die dann den endgültigen Ausbruch bewirken. „Etwas muss hinzukommen, das ihnen den Schubs gibt, der den Krankheitsprozess dann in Gang setzt.“

Chance für neue Therapien

Zwar trägt nach Schätzungen der Wissenschaftler nur rund einer von tausend MS-Patienten diese Mutation, ihre Entdeckung könnte aber helfen, die biologischen Mechanismen aufzuklären, über die MS ausgelöst wird. Die Forscher haben bereits weitere, häufiger auftretende Veränderungen im selben Gen identifiziert, die Risikofaktoren für eine progressive MS sind.

„Selbst wenn Patienten daher nicht diese seltene Mutation tragen, können wir auf Basis dieses genetischen Schaltkreises Therapien entwickeln, die auch anderen Patienten helfen,“ erklärt Vilariño-Güell. „Diese Entdeckung hat enormes Potenzial, um Therapien zu entwickeln, die nicht nur die Symptome behandeln, sondern die ihnen zugrundeliegenden Ursachen.“

Interessanterweise werden im Zusammenhang mit anderen Erkrankungen bereits einige Mittel getestet, die an diesem Gen-Schaltkreis ansetzen. „Noch stehen wir zwar erst am Anfang und es muss noch viel getestet werden, aber wenn wir einige dieser experimentellen Präparate umwidmen können, kann dies die Zeit für die Entwicklung eines neuen MS-Medikaments verkürzen“, sagt Vilariño-Güell. (Neuron, 2016; doi: 10.1016/j.neuron.2016.04.039)

(Cell Press, University of British Columbia, 02.06.2016 – NPO)

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