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Botanik

Venusfliegenfalle: Vom Opfer zum Angreifer

Forscher entdecken Ursprung der fleischfressenden Lebensweise der Pflanze

In die Falle gegangen: Fliege in der Venusfliegenfalle © Stefano Zucchinali/ CC-by-sa 3.0

Den Spieß umgedreht: Abwehrmechanismen, die bei Pflanzen eigentlich dem Schutz vor Fressfeinden dienen, erfüllen bei der fleischfressenden Venusfliegenfalle einen ganz anderen Zweck. Im Laufe der Evolution ist bei der Pflanze aus der Abwehr- eine Angriffsstrategie geworden. Das zeigen Genvergleiche. Ob die karnivore Pflanze die Verdauung von Opfern in Gang setzt oder ein Nicht-Fleischfresser Schutzmechanismen startet: Beteiligt sind daran ganz ähnliche molekulare Signalwege.

In Regionen, wo der Boden karg und die Nährstoffe knapp sind, haben einige Pflanzen eine besondere Überlebenstaktik entwickelt: Sie fangen sich zusätzliche Nahrung in Form von Insekten. Diese Strategie verfolgt auch die Venusfliegenfalle Dionaea muscipula. Sie lockt ihre Opfer durch verlockend duftende, rote Drüsenhaare in ihre zu Fangtellern umgebildeten Blätter.

Wenn die Insekten dort Nektar suchen und dabei die hoch empfindlichen Sinneshaare auf den Blättern berühren, entscheidet die fleischfressende Pflanze, ob es sich lohnt, zuzuschnappen. Sie schätzt dann die Größe ihres Opfers anhand von Berührungen ab und beginnt, eine abgestimmte Menge Verdauungssekret zu bilden. Doch wie kam es dazu, dass sich die Pflanze im Laufe der Evolution auf tierische Kost verlegt und eine so raffinierte Falle entwickelt hat?

Wurzeltypische Gene starten Verdauung

Dieser Frage ist nun ein Wissenschaftlerteam um Felix Bemm von der Universität Würzburg nachgegangen. Die Forscher wollten wissen, welche molekularen Signalwege für die ausgeklügelte Ernährungsstrategie der Venusfliegenfalle eine Rolle spielen. Dafür untersuchten sie, welche Gene in der Falle vor und während einer Mahlzeit exprimiert werden – und verglichen dies mit den Transkriptionsprofilen nicht-fleischfressender Pflanzen.

Dabei stellten sie fest: In offenen Fallen sind Gene aktiv, die typischerweise auch in Blättern exprimiert werden. Das stütze die gängige These, dass die Fangteller umgebildete Blätter seien, berichten die Wissenschaftler. In den mehreren 10.000 Drüsen im Inneren der Falle sind hingegen wurzeltypische Gene aktiv, wie die Analysen zeigten.

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Der Drüsenrasen der Venusfliegenfalle: Einzelne Drüsen sind unter dem Mikroskop zu erkennen, die Zeichnung zeigt im Querschnitt die drei Zellschichten einer Drüse © Dirk Becker/ Sönke Scherzer

Diese Drüsen erheben sich wie kleine Kuppeln aus der Falle und scheiden Verdauungsenzyme aus. Bemm und seine Kollegen fanden nun heraus, dass eine bestimmte Schicht der Drüsenzellen aber auch in die Nährstoffaufnahme involviert ist – eine Aufgabe, die bei nicht-fleischfressenden Pflanzen vornehmlich die Wurzeln übernehmen. Die Umhüllungen der Zellen in dieser Schicht sind vielfach in sich gefaltet. „Solche Strukturen zur Vergrößerung der Oberfläche findet man auch im Darm des Menschen“, schreibt Bemms Team.

Chitin: einmal Warnung, einmal Verheißung

Gerät ein Insekt in die Falle, registriert die Venusfliegenfalle das Opfer auch mithilfe spezieller Chitin-Rezeptoren, die den Baustein des Schutzmantels der Tiere registrieren. Das Chitin verheißt der Pflanze demnach Nahrung und lässt die Verdauungssäfte fließen.

Doch normalerweise bedeutet der Kontakt mit dem Polysaccharid für eine Pflanze etwas ganz anderes: nämlich Gefahr. „Zum Beispiel in Gestalt von Insekten oder Pilzen, die an ihr schmarotzen wollen“, erklären die Wissenschaftler. Als Folge setzen Pflanzen Abwehrreaktionen in Gang, wenn sie das Chitin bemerken.

Umprogrammierter Abwehrprozess

Dieser Mechanismus muss bei der Venusfliegenfalle im Laufe der Evolution umgesteuert worden sein. Das zeigte ein Genvergleich mit einer nicht-fleischfressenden Modellpflanze, der Ackerschmalwand: Wird die Ackerschmalwand mechanisch verletzt oder fressen Insekten an ihr, sind ähnliche Gene aktiv wie beim Fang- und Verdauungsprozess der Venusfliegenfalle.

Auch die physiologischen Reaktionen ähneln sich: Eine Verwundung der Ackerschmalwand führt – ebenso wie die Berührung der Sinneshaare bei der Venusfliegenfalle – zu einem elektrischen Impuls, der das Hormon Jasmonat aktiviert. Während das Hormon in nicht-fleischfressenden Pflanzen jedoch Abwehrstoffe produziert, bringt es bei der Venusfliegenfalle die Verdauung und die Aufnahme der Nährstoffe in Gang.

Ursprung der fleischfressenden Lebensweise

„Ursprüngliche Abwehrprozesse gegen Insekten wurden in der Venusfliegenfalle also umprogrammiert. Sie nutzt sie jetzt, um selbst Insekten zu fressen“, schließen Bemm und seine Kollegen. „Damit haben wir unser Ziel erreicht und den molekularen Ursprung der fleischfressenden Lebensweise der Venusfliegenfalle entschlüsselt.“

Künftig wollen die Wissenschaftler das Erbgut der Carnivoren mit weiteren Pflanzen vergleichen: zum Beispiel mit Vorläufern der fleischfressenden Pflanzen oder Arten wie dem Hakenblatt, bei dem sich karnivore und nicht karnivore Entwicklungsstadien abwechseln. Auch einen Vergleich mit der Liane Ancistrocladus streben sie an – diese ist im Laufe ihrer Evolution wieder vom Fleischfressen abgekommen. „Am Ende wollen wir wissen, was Pflanzen genau brauchen, damit sie von Tieren leben können“, so das Team. (Genome Research, 2016; doi: 10.1101/gr.202200.115)

(Julius-Maximilian-Universität Würzburg, Cold Spring Harbor Laboratory, 06.05.2016 – DAL)

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