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Neurobiologie

Schlaf: Eine Hirnhälfte hält Wache

Warum wir in der ersten Nacht am fremden Ort schlechter schlafen

Bei der ersten Nacht in einem fremden Bett bleibt ein Teil des Gehirns halbwach © wavebreakmedia

Wächter über unseren Schlaf: Forscher haben herausgefunden, warum wir in der ersten Nacht am fremder Ort schlechter schlafen. Schuld ist ein subtiler Schutzmechanismus in unserem Gehirn: Statt komplett in den Tiefschlaf zu gleiten, bleibt eine Gehirnhälfte ein wenig wacher als normalerweise. Erst wenn wir uns an die Umgebung gewohnt haben, schläft dann wieder das gesamte Gehirn“, wie die Forscher im Fachmagazin „Current Biology“ berichten.

Diesen Effekt kennt fast jeder: Ist man im Hotel oder irgendwo zu Besuch, dann schläft man in der ersten Nacht oft schlechter als in den folgenden Nächten. Man fühlt sich unausgeruht und hat das Gefühl, sich die halbe Nacht herumgewälzt zu haben. Dieser Effekt ist sogar so ausgeprägt, dass Wissenschaftler im Schlaflabor bewusst eine Eingewöhnungsnacht für ihre Probanden einplanen. Zwar werden diese dabei voll verkabelt, die Daten werden aber verworfen, weil sie nicht repräsentativ sind.

Spurensuche im Tiefschlaf

Aber woher kommt dieser „Erste-Nacht-Effekt“? Masako Tamaki und seine Kollegen von der Brown University in Providence haben dieses Phänomen nun erstmals genauer untersucht. Für ihre Studie baten sie 35 Probanden für mehrere Tage ins Schlaflabor und analysierten ihre nächtliche Hirnaktivität mit einer Kombination mehrerer bildgebender Verfahren – vom EEG über die Magnetenzephalografie bis zur Magnetresonanz-Tomografie.

Die Forscher konzentrierten sich dabei auf eine ganz bestimmte Schlafphase: den Tiefschlaf, auch „Slow-Wave-Sleep“ genannt. In dieser Phase nimmt die Hirnaktivität ab, neuronale Netzwerke werden entkoppelt und unsere Hirnströme im EEG zeigen langsame, gleichmäßige Wellen. Auch Sinnesreize nehmen wir nun kaum mehr wahr.

Gespickt mit Elektroden: Proband vor dem Schlafengehen. © Michael Cohea/ Brown University

Linke Hirnhälfte bleibt aktiver

Als Tamaki und seine Kollegen die Daten ihrer Probanden auswerten, entdeckten sie etwas Auffälliges: In der ersten Nacht blieb die linke Hirnhälfte während der Tiefschlafphase ein klein wenig aktiver als die rechte. Ein bestimmtes Netzwerk, das sogenannte „Default Mode Netzwerk“, zeigte weniger ausgeprägte Tiefschlafwellen und war weniger stark entkoppelt als die anderen überwachten Netzwerke.

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Diese Unterschiede waren so subtil, dass sie erst durch die Kombination der verschiedenen Messmethoden überhaupt entdeckt werden konnten, wie die Forscher erklären. „Unseres Wissens nach ist diese asymmetrische Slow-Wave-Aktivität im Schlaf noch nie zuvor beim Menschen dokumentiert worden“, betonen sie. Und wie die Aufzeichnungen der Folgenächte belegten, tritt dieser Effekt auch nur in der jeweils ersten Nacht auf.

Schutz durch „Nachtwächter“-Netzwerk

Aber wie wirkt sich diese Anomalie konkret auf den Schlaf aus? Um das herauszufinden, traktierten die Forscher ihre Probanden während des Tiefschlafs mit Pieptönen mal im rechten, mal im linken Ohr. Es zeigte sich: Die linke Gehirnhälfte reagierte deutlich stärker auf diese Störgeräusche als die rechte. Sie unterbrach das langsame Wellenmuster der Hinströme dann kurzeitig mit schneller fluktuierenden Signalen.

Die Komponenten des Default Mode Netzerks (gelb) und ihre Verknüpfungen. © Andreashorn/ CC-by-sa 4.0

„Das spricht dafür, dass die linke Hemisphäre im Tiefschlaf tatsächlich wacher bleibt“, sagen die Wissenschaftler. Ihrer Ansicht nach könnte dies dazu dienen, uns in der besonders wehrlosen Phase des Tiefschlafs vor möglichen Gefahren der ungewohnten Umgebung zu schützen. „Das Default Mode Netzwerk fungiert in der ersten Nacht offenbar als Nachtwächter, um den Schläfer zu schützen“, so Tamaki und seine Kollegen.

Diese anhaltende Aktivität trotz Tiefschlaf könnte erklären, warum wir in der ersten Nacht im fremden Bett schlechter schlafen: Unser Gehirn schaltet tatsächlich nicht so vollständig ab wie sonst üblich. Störungen und ungewohnte Geräusche, die wir normalerweise schlicht verschlafen würden, reißen uns dadurch leichter aus den Tiefschlaf – und mindern dadurch den Erholungseffekt.

Gibt es eine „Wachablösung“?

Noch ist nicht klar, ob das „Nachtwächter“-Netzwerk wirklich nur in der linken Gehirnhälfte aktiv wird. Denn für ihre Studie überwachten die Forscher nur die erste nächtliche Tiefschlafphase ihrer Probanden. Es ist daher möglich, dass es in späteren Tiefschlafphasen eine Wachablösung gibt und dann das rechte Default Mode Netzwerk diese Aufgabe übernimmt, wie sie erklären.

Tamaki und seine Kollegen wollen nun untersuchen, ob es möglicherweise weitere Netzwerke im Gehirn gibt, die das Default Mode Netzwerk beim Wachehalten unterstützen. Denn mit ihrer Batterie an Messmethoden lassen sich immer nur ein paar Netzwerke auf einmal überwachen. Es wäre daher möglich, dass der „Wachdienst“ in der ersten Nacht noch mehr Mitwirkende umfasst.

Light-Version des Delfinschlafs?

Interessant auch: Für uns Menschen ist dieses halbseitige Wachbleiben zwar sehr ungewöhnlich, nicht aber im Tierreich. So schlafen Delfine und einige andere Meeressäuger beispielsweise grundsätzlich nur mit ihrem halben Gehirn. Der Grund: Nur so bleibt ihr Atemzentrum aktiv genug, um sie regelmäßig zum Luftholen an die Oberfläche zu schicken.

„Wir wissen, dass Meeressäuger und einige Vögel einen halbseitigen Schlaf zeigen“, erklärt Koautorin Yuka Sasaki. „Unsere Ergebnisse könnten dafür sprechen, dass wir Menschen eine Art Light-Version dieses Schlafsystems besitzen.“ (Current Biology, 2016; doi: 10.1016/j.cub.2016.02.063)

(Brown University, 22.04.2016 – NPO)

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