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Medizin

Forscher machen Magenzellen zu Insulin-Produzenten

Implantierter Zellball übernimmt Funktion der zerstörten Betazellen bei Mäusen

Schnitt durch das aus Pylorus-Zellen gezüchtete Miniorgan. Rot sind insulinproduzierende Zellen, grün gastrische Stammzellen und blau die Zelllkerne markiert. © Chaiyaboot Ariyachet

Hoffnung für künftige Diabetiker: Forschern ist es gelungen, Zellen des Magenausgangs in Insulin-produzierende Betazellen umzuwandeln. Pflanzten sie Mäusen die aus diesen Zellen gezüchteten Miniorgane ein, regulierten diese ihren Blutzucker. Selbst ohne Bauchspeicheldrüse überlebten einige Tiere problemlos. Noch ist dies nur ein Tierversuch, aber der Ansatz könnte künftig Menschen mit schwerem Diabetes wieder zu einer körpereigenen Insulinproduktion verhelfen, so die Forscher im Fachmagazin „Cell Stem Cell“.

Bei Patienten mit Diabetes Typ 1 und starkem Diabetes Typ 2 arbeiten die Insulin produzierenden Betazellen der Bauchspeicheldrüse nicht mehr. Dadurch wird der Blutzuckerspiegel nicht mehr reguliert und steigt nach einer Mahlzeit zu hoch. Bisher lassen sich die geschädigten Zellen nicht ersetzen. Den Patienten bleibt nur, sich das Insulin von außen zuzuführen – sie müssen es sich spritzen oder könnten künftig vielleicht ein neuartiges Insulin-Pflaster nutzen

Suche nach Ersatz-Zellen

Chaiyaboot Ariyachet von der Harvard University in Cambridge und seine Kollegen haben nun jedoch einen Ansatz gefunden, mit dem sich die geschädigten Betazellen doch ersetzen lassen. Dafür untersuchten sie die Genetik und Eigenschaften verschiedener Gewebe im Verdauungstrakt, weil diese Gewebe eng mit denen der Bauchspeicheldrüse verwandt sind und noch viele Stammzellen enthalten – und damit potenzielle Vorläuferzellen für Epithel-, aber auch Drüsenzellen.

Im Gewebe des sogenannten Pylorus, des Magenpförtners, wurden sie fündig: „Wir haben entdeckt, dass einige der Zellen vom Pylorus sich unerwartet leicht in Betazellen umwandeln lassen“, berichten die Forscher. Dafür müssen nur drei Gene in den Zellen angeschaltet werden, denn viele für die Betazell-Funktion benötigte Gene und Funktionen sind schon von Natur aus in den Stammzellen des Pylorus aktiv.

Modell eines Insulin-Moleküls © Anmoll/CC-by-sa 2.0 de

Mini-Organ aus umfunktionierten Zellen

Um diese Wandelbarkeit der Pylorus-Zellen therapeutisch nutzen zu können, müssen sie jedoch umfunktioniert und dann in einer geeigneten Form in den Körper des Patienten gebracht werden. Zudem muss sichergestellt sein, dass diese Zellen auch dauerhaft Insulin produzieren und dies so effektiv tun, dass der Blutzuckerspiegel dadurch reguliert wird.

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Um diesen Ansatz zu testen, entnahmen die Wissenschaftler Mäusen zunächst einige noch undifferenzierte Pylorus-Zellen und wandelten sie in einer Zellkultur in Insulin-produzierende Zellen um. Aus diesen reprogrammierten Zellen züchteten sie dann eine Art „Miniorgan“. Diesen kleinen Zellball pflanzten sie Mäusen in eine Hautfalte am Zwölffingerdarm ein und beobachteten seine Entwicklung.

Blutzuckerspiegel erfolgreich reguliert

Wie sich zeigte, wuchs das Miniorgan nicht nur an, es vergrößerte sich auch. Nach vier Wochen war bei einigen der Mäuse bereits ein bis zu einem Zentimeter großer Auswuchs am Darm zu erkennen, der aus geschichtetem, differenziertem Gewebe bestand, wie die Forscher berichten. Analysen ergaben, dass dieses Gewebe Insulin produzierte und auch über längere Zeit gesund blieb und sich von selbst immer wieder regenerierte.

Aber reichte dieses implantierte Miniorgan auch aus, um die Funktion der Betazellen der Bauchspeicheldrüse komplett zu übernehmen? Um das herauszufinden, zerstörten die Forscher bei den Mäusen alle Betazellen und maßen ihren Blutzucker. Das Ergebnis: Einige der Mäuse, die das implantierte Miniorgan trugen, hatten einen fast normalen Blutzuckerspiegel und überlebten monatelang bis zum Ende der Studie. Diejenigen, denen es fehlte, starben jedoch alle innerhalb weniger Wochen an den Folgen des Diabetes.

„Erhebliche therapeutische Bedeutung“

Noch ist dies erst ein erster Tierversuch und die Erfolgsraten bei der Implantation zu gering. Aber die Forscher sind durchaus zuversichtlich, dass sich dieser Ansatz auch für eine Therapie beim Menschen eignen könnte. „Kombiniert mit den jüngsten Fortschritten in der Gentechnik und der einfachen Gewinnung solcher Zellen durch Biopsien, hat dieser Ansatz erhebliche therapeutische Bedeutung“, so die Ariyachet und seine Kollegen.

Zudem eröffnete diese Reprogrammierung von körpereigenen Zellen die Möglichkeit einer individuellen, maßgeschneiderten Therapie: „Das Schöne an diesem Ansatz ist, dass man die Zellen durch eine Biopsie von einem Patienten gewinnen kann, sie in vitro vermehrt und zu Betazellen macht und sie dann ihm zurück implantiert. Damit schafft man eine patientenspezifische Therapie“, sagt Seniorautor Qiao Zhou von der Harvard University.

Bisher kann man zwar Diabetes-Patienten fremde Betazellen transplantieren, aber wie bei anderen Fremdorganen kommt es zu Abstoßungsreaktionen – weshalb diese Therapie kaum angewandt wird. Bei einer Reprogrammierung und Implantation körpereigener Zellen würden diese Probleme dagegen nicht auftreten. „Genau daran arbeiten wir zurzeit bereits – wir sind sehr begeistert“, so Zhou. (Cell Stem Cell, 2016; doi: 10.1016/j.stem.2016.01.003)

(Cell Press, 19.02.2016 – NPO)

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