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Paläontologie

Kreidezeit-Säuger hatte bereits Stacheln

125 Millionen Jahre altes Fossil zeigt volle Vielfalt von Haut und Haaren moderner Säugetiere

Rekonstruktion des pelzigen Kreidezeit-Säugetiers Spinolestes in seinem damaligen Lebensraum. © Oscar Sanisidro

Uralte Haarpracht: Säugetiere hatten schon vor 125 Millionen Jahren ein erstaunlich weit entwickeltes Fell. An einem extrem gut erhaltenen Fossil aus der Kreidezeit fanden Forscher Haare, Stacheln und hornige Plättchen –Merkmale, die auch bei modernen Säugetieren vorkommen. Selbst den Pilzbefall im Pelz hatte der rattengroße Säuger-Vorfahr schon mit seinen heutigen Verwandten gemeinsam, schreiben die Paläontologen im Magazin „Nature“.

Der Aufstieg der Säugetiere begann mit dem Aussterben der Dinosaurier vor rund 65 Millionen Jahren. Sie existierten aber schon deutlich früher: Kleine Säuger waren Zeitgenossen der großen Echsen. Und auch zu dieser Zeit waren die Säugetiere schon bemerkenswert weit entwickelt – offenbar viel weiter als gedacht. Das Fossil eines Säugetiers aus der Kreidezeit versetzt Paläontologen in Erstaunen: Es ist rund 125 Millionen Jahre alt, und sein extrem gut erhaltenes Fell zeigt zahlreiche Eigenschaften, die auch moderne Säuger auszeichnen.

Haare, Stacheln und Plättchen

Das Tier mit dem Namen Spinolestes xenarthrosus liefert damit den bislang ältesten Nachweis von Säugetierfell. Durch einen seltenen Prozess, die sogenannte phosphatische Fossilisierung, ist das Fell sensationell gut erhalten: Unter dem Elektronenmikroskop konnten Forscher um Thomas Martin von der Universität Bonn einzelne Haare, Haarwurzeln und deren Aufbau erkennen.

Die Haare von Spinolestes zeigen dabei eine überraschende Vielfalt: Die Rückenhaare des kreidezeitlichen Säugetieres sind zu winzigen Stacheln verschmolzen, ähnlich denen eines modernen Igels. Allerdings sind sie viel kleiner. Solche Stacheln waren zuvor bei Säugetieren aus dieser Zeit völlig unbekannt.

„Wir kennen diese Merkmale von den heutigen Stachelmäusen aus Afrika und Kleinasien“, sagt Martin. „Wenn diese von einem Räuber am Rücken gepackt werden, lösen sich die Stacheln von der Haut ab. Die Maus kann fliehen; dem Angreifer bleibt nichts als ein Maul voller Stacheln.“ Möglicherweise erfüllten diese Strukturen bei Spinolestes einen ähnlichen Zweck.

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Vielseitiger Pelzball aus der Kreidezeit

Hinzu kommen kleine hornige Plättchen auf der Rückenhaut des Tieres. In weiter entwickelter Form treten ähnliche schuppenartige Plättchen heute bei Schuppentieren und Gürteltieren auf. „Dieser Pelzball aus der Kreidezeit zeigt die ganze strukturelle Vielfalt von Haut und Haaren moderner Säugetiere“, beschreibt Koautor Zhe-Xi Luo von der University of Chicago.

125 Millionen Jahre altes Fossil von Spinolestes: Das Skelett ist extrem gut erhalten. © Georg Oleschinski

Mit heute lebenden Säugetieren ist Spinolestes allerdings nur sehr entfernt verwandt. „Wir können den Fund keiner heute lebenden Säugergruppe zuordnen“, betont Martin. „Er weist zwar Merkmale auf, die wir auch bei heutigen Säugetieren finden. Diese sind aber kein Verwandtschaftszeichen, sondern unabhängig entstanden – sie sind im Laufe der Evolution mehrmals ‚erfunden‘ worden.“

Doch noch etwas hat der Kreidezeit-Säuger mit heutigen Säugetieren gemeinsam: Bei der mikroskopischen Untersuchung des Fells entdeckten die Forscher auch untypisch verkürzte Haare. Sie deuten diese als Anzeichen einer Pilzinfektion, die auch bei modernen Säugern verbreitet ist. Möglicherweise litten die Ursäuger also bereits unter ähnlichen Krankheiten wie ihre Nachfahren heute.

Erstaunlich belastbarer Rücken

Spinolestes war etwa so groß wie eine heutige junge Ratte und wog rund 50 bis 70 Gramm, schließen die Forscher anhand des gut erhaltenen Skeletts. Dieses deutet auch daraufhin, dass das Tier Höhlen grub und wahrscheinlich Insekten fraß. Das Fossil ist so gut erhalten, dass die Forscher selbst einige Organe erkennen können: Überreste von Lunge, Zwerchfell und Leber sowie eine Ohrmuschel sind vorhanden.

Das Skelett offenbart noch eine weitere Besonderheit: Die Wirbelsäule ist außerordentlich belastbar, da die einzelnen Wirbel über Fortsätze miteinander verschränkt sind. „Ähnliche Strukturen finden sich heute bei Gürteltieren und Ameisenbären, aber auch bei der afrikanischen Panzerspitzmaus“, sagt Martin. Letztere stemmt mit ihrem robusten Rücken Palmwedel vom Stamm des Baumes weg, um so an Insektenlarven zu gelangen, die zwischen den Ansatzstellen der Wedel und dem Stamm leben.

Klein, aber gewiss nicht primitiv

Der Fundort Las Hoyas in Spanien war zu Lebzeiten von Spinolestes ein fruchtbares Sumpfland. Seit den 1980er Jahren haben Paläontologen hier zahlreiche bedeutende Fossilien von Dinosauriern und Vögeln gefunden. Das fossile Säugetier fanden Forscher um Angela Buscalioni von der Autónoma-Universität Madrid jedoch erst vor rund drei Jahren. Mit einem Spezialverfahren lösten die Wissenschaftler die Knochen- und Gewebereste aus dem Kalkstein, um das Fossil untersuchen zu können.

„Schon vor 125 Millionen Jahren war Spinolestes sehr gut an seine ökologische Nische angepasst – durch Hornplättchen und Stacheln am Rücken sowie durch seine verstärkte Wirbelsäule“, fasst Martin zusammen. Damit reihe sich das Fossil in eine ganze Reihe neuerer Funde ein. „Wir müssen wohl umdenken“, meint der Paläontologe: „Die Säugetiere zu Zeiten der Dinosaurier mögen zwar klein gewesen sein. Primitiv waren sie aber ganz gewiss nicht.“ (Nature, 2015; doi: 10.1038/nature14905)

(Universität Bonn / University of Chicago Medical Center, 15.10.2015 – AKR)

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