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Physik

Physik-Nobelpreis für Neutrino-Forscher

Zwei Physiker werden für die Entdeckung der Oszillation der "Geisterteilchen" ausgezeichnet

Neutrinos sind rätselhafte "Chamäleons". Der diesjährige Physik-Nobelpreis ehrt den Nachweis, dass die Geisterteilchen Masse haben. © iStock.com

Neutrinos als Chamäleons: Den Nobelpreis für Physik 2015 erhalten Takaaki Kajita und Arthur McDonald für die Entdeckung der Neutrino-Oszillation – die Tatsache, dass die geheimnisvollen „Geisterteilchen“ ihre Identität mitten im Flug ändern können. Sie wechseln dabei spontan von einer der drei Sorten in eine andere. Der Nachweis dieses Identitätswechsels lieferte auch die Erklärung dafür, warum diese Teilchen überhaupt eine Masse besitzen.

Neutrinos gelten als Geisterteilchen: Weil sie kaum mit anderer Materie wechselwirken, sind sie nur schwer nachzuweisen. Dennoch durchströmen Milliarden dieser unsichtbaren, fast masselosen Teilchen in jeder Sekunde unseren Körper – und das mit annähernd Lichtgeschwindigkeit. Die Neutrinos entstehen unter anderem beim radioaktiven Zerfall, aber auch bei der Supernova massereicher Sterne und in unserer Sonne.

Das Rätsel der fehlenden Neutrinos

Dass es die theoretisch schon länger vorhergesagten Neutrinos tatsächlich gibt, entdeckten Forscher erst 1956 bei Messungen an einem Atomreaktor. Nach dem Standardmodell der Teilchenphysik existieren gleich drei Sorten dieser rätselhaften Elementarteilchen: Die Elektron-Neutrinos, die beispielsweise beim radioaktiven Zerfall vorkommen und auch von der Sonne ausgehen, sowie die Myon- und die Tau-Neutrinos.

Das Seltsame aber: Als Forscher ermittelten, wie viele Elektron-Neutrinos von der Sonne bei uns ankommen, stimmten die Zahlen nicht mit den Modellen überein – es waren viel zu wenige. Wo aber waren die restlichen geblieben? Eine Antwort auf diese Frage haben die diesjährigen Nobelpreisträger geliefert.

Blick in den Detektortank des Sudbury Neutrino Observatoriums. © Ernest Orlando/ Lawrence Berkeley National Laboratory / SNO

Entdeckung am Sudbury Observatorium

Das Problem der fehlenden Sonnen-Neutrinos lösten Arthur McDonald und sein Team vom Sudbury Neutrino Observatory (SNO) im kanadischen Bundesstaat Ontario im Jahr 2001.Der Detektor besteht aus einem 2.000 Meter tief unter der Erdoberfläche liegenden Tank mit schwerem Wasser. Trifft ein Neutrino auf eines dieser Deuterium-Atome, wird ein Elektron frei, das eine bläuliche Leuchtspur hinterlässt, die sogenannte Tscherenkow-Strahlung.

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Auch dieser Detektor registriert zunächst einen Mangel an Sonnen-Neutrinos. Statt der erwarteten zehn Elektron-Neutrinos pro Tag registrierte er nur drei. Aber da ist noch etwas: Das Sudbury Neutrino Observatory registriert gleichzeitig auch Hinweise darauf, dass Neutrinos der anderen beiden Typen eintreffen – und insgesamt stimmt ihre Zahl verblüffend genau mit dem von der Sonne erwartetem Einstrom überein.

Nach Ansicht von McDonald und seinen Kollegen lässt dies nur einen Schluss zu: „Wir gehen davon aus, dass die Diskrepanz durch Veränderungen in den Neutrinos selbst ausgelöst wird“, erklärt Arthur McDonald, Projektleiter vom SNO, im Juni 2001 die Ergebnisse. Offenbar, so sind sich die Forscher einig, wechseln die Sonnen-Neutrinos auf ihrem Weg zur Erde ihre Identität. Aus einigen Elektron-Neutrinos werden Myon- oder Tau-Neutrinos.

„Fehlende“ Neutrinos auf in Japan

Zur gleichen Zeit sind auch Takaaki Kajita und sein Team vom Neutrino-Detektor Super-Kamiokande in Japan auf der Spur dieser Chamäleons unter den Elementarteilchen. Dieser Detektor steht ebenfalls rund 1.000 Meter unter der Erdoberfläche und misst eintreffende Neutrinos anhand ihrer Leuchtspuren. Dabei registriert er vor allem Myon-Neutrinos der kosmischen Strahlung, die sowohl von oben als auch von unten nach einer Passage durch die Erde in den Tank treffen.

Signalspuren aus dem japanischen Neutrinodetektor Super-Kamiokande © Tomasz Barszczak

Das Seltsame daran: Weil die Erde für die Neutrinos kein Hindernis darstellt, müsste der Detektor eigentlich genauso viele von oben wie von unten eintreffenden Teilchen registrierten – doch das tut er nicht. Und auch hier lieferte die Neutrino-Oszillation eine Erklärung: Weil der Weg der Neutrinos durch den Erdball länger ist, haben sie mehr Zeit, um ihre Identität im Flug zu ändern.

Zusammen lieferten die Ergebnisse vom Super-Kamiokande in Japan und dem Sudbury Observatorium in Kanada den endgültigen Beweis: Neutrinos können im Flug ihre Identität ändern und zwischen den drei Typen oszillieren. Kajita und McDonald als Leiter ihrer jeweiligen Forschungsgruppen erhalten nun hierfür den Physik-Nobelpreis. Inzwischen hat der Neutrino-Detektor in Gran Sasso auch die Umwandlung von Myon- zu Tau-Neutrinos belegt, 2013 gelang der Nachweis des Wechsels von Myon- zu Elektron-Neutrinos.

Erklärung für die Masse der Neutrinos

Die Entdeckung der drei Neutrino-Geschmäcker und ihrer Oszillation ist entscheidend wichtig auch für die Frage, woher die Neutrinos ihre Masse bekommen. Denn nach dem Standardmodell dürften diese Elementarteilchen eigentlich keine Masse besitzen. Doch die Oszillation macht es möglich:

Ähnlich wie weißes Licht aus Anteilen unterschiedlich farbiger Wellenlängen besteht, so ist jedes Neutrino eine Mischung aus drei verschiedenen Massen – schwer vorstellbar, aber physikalisch möglich. Im Laufe der Zeit verändert sich der Anteil dieser Massen und dies löst, so die Theorie der Physiker, den Wechsel der Identitäten beim Neutrino aus.

(nobelprize.org, 06.10.2015 – NPO)

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