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Technik

Fukushima-Desaster war vermeidbar

Forscher enthüllen Hinweise auf fatale Ignoranz der Betreiber des japanischen Atomkraftwerks

Atomkraftwerk Fukushima Daiichi vor der Katastrophe vom 11. März 2011 © Ministry of Land, Infrastructure, Transport and Tourism Japan

Fatale Fehler: Die Atomkatastrophe von Fukushima hätte verhindert werden können. Doch Arroganz und Ignoranz der Betreiber, Designfehler und Kontrollmängel führten dazu, dass wesentliche Sicherheitsmaßnahmen für den Notstrom unterblieben, wie eine neue Studie aufzeigt. Sogar den Rat der eigenen Forscher ignorierte der Betreiber Tepco demnach und kalkulierte die zu erwartenden Erdbebenstärken und Tsunamihöhen daher viel zu niedrig.

Als am 11. März 2011 ein schweres Erdbeben die Küste Japans erschütterte und anschließend ein Tsunami die Küsten im Nordosten des Landes überschwemmte, traf es auch das Atomkraftwerk Fukushima Daiichi. Das Kühlsystem fiel aus, drei der Reaktorblöcke überhitzten und eine Kernschmelze begann. Durch Wasserstoffexplosionen wurden radioaktive Gase und Stäube freigesetzt. Selbst mehr als vier Jahre nach der Katastrophe sind die Reaktoren noch immer nicht im Griff.

Menschliches Versagen trug zur Katastrophe bei

Dass an dem Ausmaß der Atomkatastrophe auch menschliches Versagen schuld war, hatte bereits 2012 eine unabhängige Untersuchungskommission festgestellt. Schon damals wurde klar, dass sowohl die unzureichende Vorbereitung auf einen solchen Katastrophenfall als auch das Handeln der Tepco-Mitarbeiter danach zur Verschärfung der Lage beitrugen.

Jetzt legt eine neue Studie noch eins drauf. Forscher um Costas Synolakis von der University of Southern California haben dafür hunderte von Prüfberichten, Behördenmemos und internen Berichten des Betreibers Tepco ausgewertet. Ihr Fokus lag dabei auf der Vorgeschichte. „Während die meisten Studien sich auf die Reaktion nach dem Tsunami konzentrierten, haben wir festgestellt, dass es Designprobleme gab, die zur Katastrophe führten und die schon lange vor dem Erdbeben hätten behoben werden können“, sagt Synolakis.

„Wehrlos wie eine festsitzende Ente“

Fukushima Daiichi sei dadurch wehrlos wie ein „sitting Duck“ – eine festsitzende Ente – gewesen und hätte nur darauf gewartet, überflutet zu werden. „Eine ganze Kaskade von industriellen, regulatorischen und technischen Fehlern“, so die Forscher, habe zu einer Situation geführt, in der kritische Infrastrukturen versagen mussten. Hinzu komme, dass es unerklärlicherweise unterschiedliche Designvorgaben für selbst dicht beieinander liegende Atomanlagen gegeben hätte – Fehler waren hier quasi vorprogrammiert.

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Wasserstände beim Tsunami in Fukushima und Höhe der Schutzmauern und des Kraftwerks © higeru23 /CC-by-sa 3.0

Im Falle von Fukushima Daiichi waren dies vor allem die Dieselgeneratoren, die das Kraftwerk eigentlich im Falle eines Stromausfalls weiter versorgen und vor allem das Kühlsystem am Laufen halten sollten. Doch das geschah nicht – weil der Tsunami 12 von 13 Generatoren wegspülte und den letzten verbliebenen überflutete. Von den 33 Notleitungen, die zu Generatoren außerhalb der Anlage führten, blieben zudem nur zwei übrig. Hinzu kam, dass die Anschlüsse für später neu herangeschaffte Generatoren so ungünstig verlegt waren, dass sie unzugänglich in der verseuchten Brühe des Reaktorkellers lagen.

Tsunamis absichtlich zu niedrig kalkuliert?

Das alles aber hätte nicht sein müssen, betonen Synolakis und seine Kollegen. Denn die Dieselgeneratoren hätten den Tsunami überstanden, wenn der Betreiber Tepco beim Entwurf seiner Notstromsysteme nicht völlig ungenügende Annahmen zugrunde gelegt hätte – wider besseres Wissen. Denn bereits 2008 hatten Tepco-Ingenieure und Forscher zwei Kalkulationen durchgeführt, in denen sie an dieser Küste Japans mit Tsunamihöhen von 8,4 bis sogar über zehn Metern rechneten.

Doch beim Bau des Atomkraftwerks ignorierte Tepco die Studien seiner eigenen Forscher, wie interne Berichte verraten. Der Kraftwerks-Betreiber ließ 2010 einfach eine weitere interne Studie durchführen, bei der die früheren Empfehlungen ignoriert und stattdessen von einer maximalen Tsunamihöhe von nur 5,7 Metern ausgegangen wurde. Zudem wurde beim Bau des Atomkraftwerks ein Teil der Küstenklippen abgetragen, was die Höhe der Anlage über dem Meer weiter reduzierte.

Der Tsunami vom 11. März 2011 © NOAA

Erdbeben unterschätzt

Zudem ging Tepco von einem Erdbeben mit Maximal der Stärke von 7,5 aus – obwohl es an dieser Küste Japans bereits Beben der Magnitude 8,6 gegeben hat. Nach Ansicht der Forscher hätte spätestens das schwere Erdbeben in Chile am 27. Februar 2010 Tepco wachrütteln müssen. Denn bei diesem Beben der Magnitude 8,8 verwüstete ein Tsunami mehrere Küstenorte des Landes.

„Das war die letzten Chance, das Unglück zu verhindern“, so Synolakis. Doch noch im November 2010 konstatierten Tepco-Vertreter auf einer Konferenz von Kerntechnik-Ingenieuren, dass sie „die Sicherheit ihrer Atomkraftwerke geprüft und bestätigt“ hätten. „Das Problem ist, dass alle diese Studien intern abliefen, es gab keine eingebauten Sicherheitsfaktoren oder externen Kontrollen“, sagt Synolakis. „Zudem fehlte es an Kontext.“

„Das hätte verhindert werden können“

Als Folge wurden die für die Kühlung so wichtigen Dieselgeneratoren wider besseres Wissen in akut gefährdeten Stellen aufgestellt: Einige im Keller der Anlage, andere nur zehn bis 13 Meter über dem Meeresspiegel. „Das ist unerklärlich und fatal zu niedrig“, sagt Synolakis. Als dann bei dem Tsunami am 11. März 2011 ein 13 Meter hoher Tsunami die Küste traf, wurden alle Generatoren überflutet und größtenteils weggerissen.

„Die Fukushima-Katastrophe hätte verhindert werden können, wenn interne Standards befolgt worden wären, wenn es internationale Reviews gegeben hätte und man den gesunden Menschenverstand genutzt hätte, um existierende geologische und hydrodynamische Fakten zu bewerten“, konstatieren die Forscher.

Ihrer Ansicht nach ist Fukushima Daiichi aber kein Einzelfall: Auch bei anderen Atomkraftwerken an Küsten könnte ähnliche Fehler gemacht worden sein. „Uns fehlen global Standards für das Tsunami-spezifische Training und die Zertifizierung von Ingenieuren und Wissenschaftlern, die Risikostudien durchführen, sowie für die Entscheider, die diese Studien prüfen“, sagt Synolakis. „Denn nur das kann sicherstellen, dass wichtige Änderungen und Verbesserungen gemacht werden. (Philosophical Transactions of the Royal Society A, 2015; doi: 10.1098/rsta.2014.0379)

(University of Southern California, 22.09.2015 – NPO)

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