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Gesellschaft

Betrug beim Peer-Review-Prozess aufdeckt

Trick ermöglichte Autoren, unerkannt selbst Gutachten für ihre Fachartikel zu schreiben

In den letzten zwei Jahren wurden mit den aktuellen Fällen über 170 Fachartikel wegenb Betrugs zurückgezogen. © Maksim Koval /iStock.com

Groß angelegter Betrug: Gleich 64 Artikel aus zehn Fachjournalen mussten jetzt wegen Betrugs zurückgezogen werden. Der Grund: Die Autoren hatten ihre Reviews schlicht selbst verfasst – und dies durch einen raffinierten Trick kaschiert. In den letzten zwei Jahren hat es bereits mehr als 170 solcher Fälle gegeben.

Die Peer-Review ist die Basis des Systems wissenschaftlicher Veröffentlichungen. Denn jeder Artikel, der in einem renommierten Fachjournal erscheinen soll, wird zuerst an einen Gutachter weitergeleitet. Dieser ist in der Regel ein Forscher aus dem gleichen Fachgebiet wie die Autoren und prüft das Manuskript auf Relevanz, Richtigkeit und Plausibilität. Erst wenn dieser Reviewer sein OK gibt, wird der Artikel publiziert.

Manipulierter Qualitätsgarant

„Der Peer-Review-Prozess ist einer der Grundpfeiler der Qualität, Integrität und Reproduzierbarkeit in der Forschung“, konstatiert auch der wissenschaftliche Springer Verlag in Heidelberg, einer der großen Herausgeber von Fachjournalen. Lange galt dieses System zudem als ziemlich robust.

Doch seit 2013 häufen sich Fälle, bei denen Autoren mit raffinierten und erschreckend simplen Tricks diese Begutachtung unterlaufen. In den letzten zwei Jahren mussten wegen solcher Betrügereien mehr als 110 Fachartikel zurückgezogen werden. Betroffen war davon nahezu alles, was in der Fachverlagswelt Rang und Namen hat – darunter Elsevier, Springer, Taylor & Francis, SAGE und Wiley.

Eine gefälschte E-Mail-Adresse reichte für den Betrug © Max Kabak / iStock.com

Simpler E-Mail-Trick

Der Betrug funktioniert dabei ganz einfach: Bei vielen Journalen können Autoren selbst einen oder mehrere Reviewer für ihre Artikel vorschlagen. Das soll eigentlich sicherstellen, dass die Begutachtung von einem Wissenschaftler durchgeführt wird, der mit diesem Thema vertraut ist und selbst darin forscht. Genau dieses System hat den Betrügern eine Manipulationsmöglichkeit eröffnet.

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Die Autoren reichen dabei Vorschläge für Reviewer ein, die auf den ersten Blick bestens geeignet wären. Doch statt deren echte E-Mail-Adressen anzugeben, teilen sie dem Journal Kontaktdaten mit, die zu eigenen E-Mailkonten führen oder zu denen von Mitarbeitern im eigenen Institut. Meist tarnen sie dies durch gmail oder sonstige Freemailer-Accounts.

Statt des Gutachters bewertet der Autor selbst

Das Problem dabei: Die Editoren der Journals treten nicht direkt mit den Gutachtern in Kontakt, sondern der gesamte Review-Prozess wird über eine Software abgewickelt. Der Gutachter erhält dabei per E-Mail eine automatisierte Einladung zur Review, in der er gleichzeitig die Login-Information für diese Plattform erhält. Damit kann er sich einloggen und das Paper editieren und kommentieren. Wenn schon die erste E-Mail an eine gefälschte Adresse geht, bekommt daher niemand mit, wer wirklich den Artikel begutachtet.

Und genau dies ist nun auch bei den vom Springer Verlag zurückgezogenen Artikeln passiert. „Nach gründlicher Untersuchung haben wir Grund zu der Annahme, dass der Peer Review-Prozess bei diesen 64 Artikeln kompromittiert wurde“, heißt es in der offiziellen Presseerklärung des Verlages. Statt richtiger Gutachter hatten die Autoren selbst ihre Paper bewertet oder Freude gebeten dies zu tun. Als Folge wurden ihre Arbeiten für gut befunden und veröffentlicht – ohne jemals von einem unabhängigen Wissenschaftler gesehen worden zu sein.

Betrugshilfe durch Dritte

Aber nicht immer sind die Autoren selbst die Betrüger: Als der Verlag Biomed Central 43 solcher Betrugsfälle bei seinen Journalen prüfte, waren bei einigen kommerzielle Anbieter von Publikations-Diensten die Übeltäter. „Wir wissen, dass viele Forscher ihre Manuskripte Agenturen anvertrauen, die den sprachlichen Ausdruck ‚polieren‘ und ihnen beim Einreichen des Manuskripts helfen sollen“, erklärt Elizabeth Moylan von Biomed Central.

Offenbar hatten dann diese Firmen den Review-Betrug initiiert und durchgeführt. „Es ist gut möglich, dass einige Forscher unwissentlich in diese Versuche verwickelt wurden, den Peer-Review-Prozess zu manipulieren“, so Moylan. Wie sie berichtet, haben einige betroffene Autoren dem Verlag die Namen ihrer Agenturen genannt, damit dies geprüft werden kann.

Ebenfalls Dritte waren bei einem Fall im Elsevier Verlag im Spiel. Hier hatte sich ein Unbekannter Zugang zum Editorensystem eines Journals verschafft und elf Fachartikel falschen Gutachtern zugeordnet. Die Autoren der Artikel wussten davon offenbar nichts, wie der Verlag mitteilt. Nach Prüfung der Faktenlage erhielten sie daher die Chance, ihr Manuskript erneut einzureichen.

Fachjournale ziehen die Konsequenzen

Als Reaktion auf diese Enthüllungen haben Biomed Central und einige weitere Verlage das System der von Autoren vorgeschlagenen Gutachter bereits komplett abgeschafft. Bei ihnen wählt nur noch der jeweilige Editor die Forscher für die Peer-Review aus. Bei Springer will man nicht ganz so weit gehen. Hier dürfen Autoren weiterhin Vorschläge einreichen, akzeptiert werden jedoch nur noch E-Mail-Adressen von Institutionen und Forschungseinrichtungen.

Das Committee on Publication Ethics (COPE) empfiehlt, in jedem Falle die Namen, Adressen und E-Mail-Kontakte der Reviewer zu überprüfen und nicht allein auf das automatisierte System zu setzen. Das allerdings kann vor allem bei Autoren aus Asien mitunter schwierig sein. Daher sei noch etwas wichtig, um vor Betrug dieser Art zu schützen: „Editoren sollten niemals nur die von den Autoren empfohlenen Reviewer nutzen“, rät Natalie Ridgeway von COPE. Mindestens ein weiterer unabhängiger Gutachter sei Pflicht. (Nature News)

(Nature News / Springer / Biomed Central, 19.08.2015 – NPO)

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