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Medizin

Wir hören tiefer als gedacht

Hörschwelle für alltäglichen Infraschall liegt bei vielen Menschen bis zu eine Oktave tiefer

Wie schädlich ist zu lauter Infraschall? Unsere Ohren nehmen auch noch Töne wahr, die eigentlich "unhörbar" tief sind. © freeimages

Kann man „unhörbaren“ Schall hören? Offenbar liegt unsere Hörschwelle für tiefe Töne bis zu einer ganzen Oktave tiefer als bislang gedacht. Dieser Infraschall ist für viele Menschen wahrnehmbar, wie ein internationales Forscherteam herausgefunden hat. In diesen tiefen Frequenzbereich fällt auch der von Windkraftanlagen produzierte Lärm, der bislang als unhörbar und damit harmlos galt – sind nun neue Schutzbestimmungen nötig?

Ein hörbarer, lauter Ton kann das Gehör schädigen – und an den Nerven zerren. Doch was ist mit „unhörbaren“ Tönen? Unsere Ohren können Schall in einem großen Frequenzbereich wahrnehmen: Alles von etwa 16 Hertz bis hinauf zu rund 16.000 Hertz ist für uns hörbar. Darunter liegt der sogenannte Infraschall, zu hohe Frequenzen liegen im Ultraschall-Bereich.

Der tiefe Infraschall bereitet vielen Menschen Sorgen: Windkraftanlagen produzieren in diesem Frequenzbereich eine Menge Lärm. Windenergiebranche und Behörden meinen zwar, diese Frequenzen seien unhörbar und viel zu schwach, um gesundheitliche Beschwerden zu verursachen. Dennoch klagen einige Anwohner in der Nähe von Windrädern über Schlafstörungen, Leistungsabfall und andere Beschwerden – andere Menschen bemerken jedoch nichts.

Infraschall ohne Obertöne

„Sowohl Panikmache als auch pauschales Abwiegeln führen hier nicht weiter“, sagt Christian Koch von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) in Braunschweig. „Stattdessen müssen wir mehr darüber herausfinden, was bei der Wahrnehmung von Schall im Grenzbereich des Hörens passiert.“

Zu diesem Zweck konstruierten Koch und seine Kollegen zunächst eine Infraschallquelle, die keine Obertöne produziert. Das ist nicht ganz einfach, da normalerweise jede Schallquelle auch spezifische Obertöne mit sich bringt. Diese höheren Frequenzen hätten die Infraschallquelle jedoch hörbar gemacht. Den „unörbaren“ Infraschall dieser Quelle spielten die Forscher Versuchspersonen vor und befragten sie nach ihrem subjektiven Hörempfinden. Gleichzeitig beobachteten sie die Hirnaktivität der Probanden mit Magnetoencephalografie (MEG) und funktioneller Kernspintomografie (fMRT).

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Aktivität im Gehirn im Gebiet des auditiven Cortex bei Stimulation durch niederfrequenten Schall und Infraschall © Max-Planck-Institut für Bildungsforschung

„Da ist irgendwas“

Dabei zeigte sich: Der Mensch hört tiefere Töne als bislang angenommen. In den Versuchen lag die untere Hörschwelle schon bei acht Hertz – das ist eine ganze Oktave tiefer als der nach bisheriger Annahme tiefste hörbare Ton. Bis hinunter zu dieser Frequenz wiesen die Forscher eine Erregung des Gehörzentrums im Gehirn nach. Alle betreffenden Probanden gaben dabei ausdrücklich an, etwas gehört zu haben.

Allerdings war nicht immer eine tonale Wahrnehmung vorhanden. Die Versuchspersonen hörten die Töne also nicht unbedingt tatsächlich, nahmen sie aber dennoch irgendwie deutlich wahr. Außerdem beobachteten die Wissenschaftler Aktivität in Gehirnregionen, die bei Emotionen eine Rolle spielen. „Das heißt, der Mensch nimmt dann eher diffus wahr, dass da irgendwas ist und dass das auch eine Gefahr bedeuten könnte“, sagt Koch.

„Unhörbarer“ Schall ist alltäglich

Infraschall entsteht nicht nur an Windkraftanlagen, sondern tritt in vielen Bereichen des Alltags auf. Schon wenn ein LKW am Haus vorbeidonnert oder wenn ein Hausbesitzer einen Stromgenerator im Keller installiert, entstehen Frequenzen in diesem tiefen Bereich. Koch und Kollegen wollen darum nun genauer erforschen, welche gesundheitlichen Folgen die bislang für unhörbar gehaltenen Töne haben.

Dazu wollen sie Menschen untersuchen, die sich von „unhörbarem“ Schall belästigt fühlen. Sowohl körperliche als auch psychologische Auswirkungen wollen sie dabei berücksichtigen. Die Ergebnisse könnten dazu führen, dass europaweit einheitliche Schutzbestimmungen für die neu erkannten Grenzbereiche des Hörens eingeführt werden.

Viel Forschungsbedarf sehen die Wissenschaftler auch noch beim anderen Extrem, dem Ultraschall. Dieser kommt zum Beispiel aus den handelsüblichen Ultraschall-Reinigungsbädern für Schmuck oder Brillen, oder aus „Marderschreck“-Geräten, die Marder von Autos oder Maulwürfe aus dem Garten fernhalten sollen. „In all diesen Bereichen sind teilweise sehr große Lautstärken im Spiel“, sagt Christian Koch. Bislang konnten die Forscher mit ihren Methoden jedoch nicht nachweisen, ob und was ein Mensch oberhalb der bisher angenommenen oberen Hörschwelle hört.

(Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB), 13.07.2015 – AKR)

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